Heinrich Laube

Heinrich Laube (* 18. Dezember 1806 in Sprottau, Schlesien, † 1. August 1884 in Wien) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Theaterdirektor und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Nachdem er ab 1845 Kontakte zu verschiedenen Wiener Bühnen geknüpft hatte, wurde er am Ende des Jahres 1849 zum artistischen Director des Wiener Burgtheaters berufen, wo er dieses Amt über 18 Jahre ausübte.
Biografie
Als Laube Direktor des Burgtheaters wurde, sah er sich sofort mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert, die dringend überwunden werden mussten, wobei sein Motto lautete: „Die Ausstattung knapp, die Ausführung reich![1]“. Diese ‚Rehabilitierung‘ des Burgtheaters nach Deinhardsteins[2] und Holbeins[3] Leitung unternahm Laube einerseits durch ein literarisch anspruchsvolles Programm, das neue Produktionen der deutschen ‚Klassiker‘ Goethe, Schiller und Lessing enthielt, aber auch Shakespeare, ganz zu schweigen von erfolgreichen Wiederaufnahmen der Stücke Franz Grillparzers, andererseits durch die Einführung zeitgenössischer ausländischer Stücke, v.a. Sitten- und Konversationsstücke aus Frankreich, die unter Laube zahlreich auf den Spielplan des Burgtheaters gesetzt wurden.
Ein fester Bestandteil des Repertoires, etwa ein Drittel der gespielten Stücke (Laut Halczak 1968, S. 440, betrug die Zahl der französischen Autoren ein Viertel aller aufgeführten Dichter und deren Werke sogar ein Drittel der gesamten Aufführungen.), waren nämlich Übersetzungen bzw. Bearbeitungen von französischen Unterhaltungsstücken (Komödien und sozialen Dramen): Werke von Émile Augier (1820–1889), dessen Fils de Giboyer (1862), ein Stück, das den Klerus angreift und dabei großes Aufsehen erregte, Laube für „das beste Stück […] in der neuen Komödienliteratur der Franzosen[4]“ hielt –, Théodore Barrière[5] (1823–1877, Autor von Vaudevilles und Melodramen), Jean-François Bayard[6] (1796–1853, Verfasser von über 200 Stücken), Alphonse Daudet[7] (1840–1897, jetzt noch v.a. als Autor der Lettres de mon moulin berühmt), Alexandre Dumas fils[8] (1824–1895), Octave Feuillet[9] (1821–1890), Delphine de Girardin[10] (1804–1855, Verfasserin von Komödien und neoklassizistischen Tragödien), Henri Meilhac[11] (1831–1897, Verfasser mit Ludovic Halévy von etwa 50 Stücken) oder Victorien Sardou (1831–1908, „l’Empereur du théâtre“ genannt, Verfasser von historischen Komödien). Der Hauptlieferant französischer Stücke zu dieser Zeit war aber Eugène Scribe[12] (1791–1861, langjähriger Herrscher über die Pariser Theater- und Opernlandschaft, Autor von mehr als 400 Stücken), mit Labiche und Feydeau einer der Meister des französischen ‚Vaudeville‘: Mit 77 Inszenierungen sollte er im 19. Jahrhundert zum meistgespielten französischen Autor an der Burg werden.
Auf die Vorwürfe der Kritiker – etwa Franz Xaver Riedl in der Theaterzeitung –, die Laube aus diesem Grund für einen „Förderer der Franzosen“ auf Kosten der deutschsprachigen Dichter hielten, antwortete dieser knapp: „Um die Franzosen ist es uns nicht zu tun, sondern um das Schauspiel der Gegenwart.[13]“ Die Lustspiele von Scribe, Meilhac und Sardou seien „so unbefangen europäisch lustig, wie man nur wünschen kann.[14]“ Laube war sich dabei wohl bewusst, dass die Attraktivität eines Schauspielhauses von der Vielfalt des Programms abhängt. In einem Rückblick auf seine Jahre als Leiter des Burgtheaters mit dem Titel Das Burgtheater (1868) konnte er sogar behaupten, dass diese Diversität aus dem Burgtheater eine bedeutendere europäische Bühne mache als die Comédie Française selber: „Das Burgtheater hat seit einer Reihe von Jahren das umfassendste Repertoire geboten, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Das Théâtre Français, unser großer Rival, kommt wegen seines formell abgeschlossenen romanischen Wesens nirgends über romanische Grenzen hinaus und kann sich nichts aus der Fremde aneignen, wie wir es vermögen. Und ein anderer Rival ist nicht vorhanden. Die deutschen Theater sind darin sämtlich zurückgeblieben, die englische Bühne ist verfallen und die spanische wie die italienische sind französiert.[15]“
Überall schwanken Laubes Bemerkungen zur Comédie Française in seinen Schriften über Theater zwischen Polemik und Bewunderung für die französische Hauptbühne. An einer Stelle greift er etwa den „hohlen Deklamationsstil französischer Schule“ an und unterscheidet ihn „von der natürlichen Vortragsweise Schröders[16]“ als Vorbild für ein in seinen Augen angemessenes Sprechen auf der Bühne. An anderer Stelle liest man hingegen: „Den tragischen Vortrag der Franzosen, eine nationale Konvention, können wir nicht brauchen, wohl aber die Bildung des Sprechorgans, die klare Bestimmtheit der Aussprache, welche sie verlangen. Gerade darin sündigt der deutsche Schauspieler.[17]“ Diese zweideutige Haltung – Überrepräsentation des zeitgenössischen französischen Konversationsstücks im Programm des Burgtheaters und zugleich kritisch-polemische Bemerkungen über die Comédie Française in seinen Schriften zum Theater – spiegelt sich in Laubes Standpunkt zum französischen Drama überhaupt: Zum einen hatte er eine eindeutige Vorliebe für moderne französische Lustspiele, zum andern aber nahm er zwiespältig Stellung zu Molière und zur klassischen französischen Tragödie: „Das gallische Wesen erscheint uns immer zu dünn, wenn es an die tragische Lösung kommt.[18]“ Dadurch brach er klar mit dem französischen klassischen ‚Geschmack‘, der im Burgtheater lange Zeit vorgeherrscht hatte. Racine und Corneille etwa brachte er nie auf die Bühne, Molière anscheinend nur widerwillig (und mit wenig Erfolg). Was Molière angeht, so war Laube nämlich der Ansicht, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse überholt und dementsprechend uninteressant geworden seien[19]. Im Gegensatz dazu schätzte er in den zeitgenössischen französischen Stücken à la Scribe ganz besonders die Gestaltung und Deutung der gesellschaftlichen Probleme seiner Zeit. Wie aus seinem Essay Eugène Scribe und unser Lustspiel[20] hervorgeht, stand Laube insofern im Gegensatz zu den traditionalistischen französischen Kritikern, als er Scribe – den Meister der ‚Komposition‘ – Molière vorzog.
Diese Zweideutigkeit dem französischen Drama gegenüber lässt sich differenziert begründen. Einerseits war das zeitgenössische französische Drama, dem Laube so große Bedeutung beimaß, zu dieser Zeit Mode, und bildete sozusagen ein Reservoir an Stücken, auf das der Direktor des Burgtheaters zurückgreifen konnte, um sich einen finanziellen Erfolg zu sichern, den diese Bühne um 1850 dringend benötigte. Insofern setzte Laube die französischen Stücke aus einem „praktischen“, d.h. finanziellen Interesse auf das Programm des Burgtheaters; zugleich erlaubten sie Laube, seinem Publikum ein facettenreiches und vielfältiges Programm zu bieten, das nicht nur klassische Werke enthielt. Andererseits lassen sich Laubes oft polemische Aussagen zur Comédie Française dadurch erklären, dass er immer wieder die Positionierung der Burg im Feld des europäischen Theaters im Auge hatte und zugleich die Absicht verfolgte, aus dem Burgtheater nicht nur die Hauptbühne im deutschen Sprachraum, sondern auch ‚das‘ nationale Theater par excellence zu machen, was er in seinen Briefen über das deutsche Theater deutlich ausdrückt[21].
In diesem symbolischen, geradezu politischen Kampf um die Dominanz im europäischen Theaterfeld konnte das Théâtre Français also gleichzeitig nur als ein anstrebenswertes Vorbild und als Rivale erscheinen, mit dem sich das Burgtheater vergleichen und konfrontieren musste. Hinzufügen muss man auch, dass die Frage der ‚Rivalität‘ zwischen Burgtheater und Comédie Française sich auf einen ganz anderen Bereich auswirkte, nämlich den der Architektur: Die Büsten der großen Dramatiker an der Fassade des neuen Burgtheaters – die Klassiker der Weltliteratur: Calderón, Shakespeare, Molière; die deutschen Klassiker: Lessing, Goethe, Schiller; die tragischen Dramatiker des Burgtheaters im 19. Jahrhundert: Hebbel[22], Grillparzer, Halm[23] – zeugen nicht minder als Laubes Diskurs über die Comédie sowohl von dieser Rivalität als auch von den hohen Ansprüchen des Burgtheaters.
Quellen und externe Links
- ↑ Laube 1959, S. 637
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Johann_Ludwig_Deinhardstein
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Franz_Ignaz_Holbein_von_Holbeinsberg
- ↑ Laube 1959, S. 635
- ↑ https://xn--thtre-documentation-cvb0m.com/content/barri%C3%A8re-th%C3%A9odore
- ↑ https://xn--thtre-documentation-cvb0m.com/content/bayard-jean-fran%C3%A7ois-alfred
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/alphonse-daudet/
- ↑ https://gallica.bnf.fr/essentiels/dumas-fils
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/octave-feuillet/
- ↑ https://gallica.bnf.fr/essentiels/girardin
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/henri-meilhac/
- ↑ Vgl. Ruprecht 1976
- ↑ Ebd., S. 289
- ↑ Ebd., S. 291
- ↑ Ebd., S. 177
- ↑ Ebd., S. 109
- ↑ Ebd., S. 474
- ↑ Ebd., S. 516
- ↑ Ebd., S. 177
- ↑ Ebd., S. 712–718
- ↑ Ebd., S. 58
- ↑ https://friedrich-hebbel.de/gesellschaft/
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Friedrich_Halm
Bibliografie
Primärliteratur
- Laube, Heinrich: Schriften über Theater. Hg. von Eva Stahl-Wisten. Berlin (DDR): Henschel 1959.
Sekundärliteratur
- Dziemianko, Leszek / Hałub, Marek / Weber, Matthias (Hg.): Heinrich Laube (1806–1884). Leben und Werk. Bestandsaufnahmen – Facetten – Zusammenhänge. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2016 (Schlesische Grenzgänger Bd. 8).
- Halczak, Katharina: Burgtheater und Comédie Française. Zwei Traditionsbühnen an der Wende zum 20. Jahrhundert. Wien: Diss. Wien (unveröff.) 1968.
- Lacheny, Marc: Wechselseitige Diskurse über Burgtheater und Comédie Française von Laube (1849) zu Wildgans. In: Sigurd Paul Scheichl / Karl Zieger (Hg.): Österreichisch-französische Kulturbeziehungen 1867-1938. France-Autriche : leurs relations culturelles de 1867 à 1938. Innsbruck: innsbruck university press 2012, S. 61–90.
- Ruprecht, Hans-George: Theaterpublikum und Textauffassung. Eine textsoziologische Studie zur Aufnahme und Wirkung von Eugène Scribes Theaterstücken im deutschen Sprachraum. Bern: Peter Lang 1976.
- Yates, W. E.: Theatre in Vienna. A Critical History, 1776–1995. Cambridge: Cambridge University Press 1996 (Cambridge studies in German), hier S. 67–76.
Autor
Marc Lacheny
Onlinestellung: 04/10/2024