Burgtheater an der Comédie Française 1967

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1967 wurde ein kulturell wie symbolisch bedeutendes wechselseitiges Gastspiel organisiert: Während die Comédie Française sich nach Österreich (Wien, Graz, Linz, Innsbruck, Bregenz) begab, wo sie vom 18. bis zum 29. Oktober ihre meistgespielte Tragödie, Le Cid von Corneille, und eine ihrer lustigsten Komödien, Le Dindon von Feydeau, zeigte, reiste das Burgtheater nach Paris. Das Programmheft der Comédie kündigte an: „Offizielle Vorstellungen des Wiener Burgtheaters – 17. bis 21. Oktober 1967“.

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Fünf Tage lang gehörte also die Comédie Française den Wienern. Die Stimmung am Premierenabend beschrieb Felix Kreissler nicht ohne Ironie wie folgt: „Das alte Haus am ‚Place du Théâtre Français‘ war hell erleuchtet, am Prunkeingang erwartete ein doppeltes Spalier von Livrierten und ‚Gardes républicains‘ in Galauniform die offiziellen Gäste, und im Foyer drängte sich die festlich gekleidete Menge all jener, die im kulturellen Paris Rang und Namen haben, verstärkt diesmal durch eine stattliche Anzahl von Österreichern und Deutschen, die in Paris – vorübergehend oder bleibend – ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Es sollte eine Galavorstellung werden – und es wurde ein Ereignis![1]

Für dieses ‚Ereignis‘ wurde folgendes Programm angeboten: am 17. und 18. Oktober Ein Bruderzwist in Habsburg von Grillparzer, am 19. und 20. Professor Bernhardi von Schnitzler. Den Abschluss bildete Einen Jux will er sich machen von Nestroy am 21. Oktober mit einigen der prominentesten Darsteller des Burgtheaters.

Was Grillparzer angeht, so betonte Kreissler ganz besonders die Qualität der Besetzung: Attila Hörbiger[2] (Rudolf), Erich Auer (Mathias), Achim Benning (Ferdinand), Heinz Moog[3] (Melchior Klesel), Heinz Woester (Julius von Braunschweig), Hans Thimig[4] (Wolf Rumpf): Bald „setzte sich die Kunst der Schauspieler schließlich siegreich durch. Beweis: die einstimmige Einschätzung der Kritik und der Applaus des Publikums. Grillparzer – mit Attila Hörbiger, Heinz Moog, Hans Thimig und alle anderen Darsteller – glänzend.[5]

Zwei Stimmen zeugen auch vom Erfolg des Nestroy’schen Abends einige Tage später. Peter Lotschak, der Rezensent der Salzburger Nachrichten vom 24. Oktober 1967, schreibt etwa am Schluss seiner Kritik: „Um die dritte Aufführung, um Nestroys ‚Jux‘, hatte man im stillen gebangt. Doch von Anbeginn an saß im Saal ein Publikum, das bereit war, die unverständliche Sprache völlig unbeachtet zu lassen, um sich vom Charme und vom komödiantischen Talent des Ensembles verführen und entzücken zu lassen. Jacques Charon[6] (der Doyen der Comédie, etwa mit Meinrad vergleichbar) sagte in der Pause: ‚Ich verstehe kein Wort, aber diesen Weinberl möchte ich spielen, so begeistert bin ich.‘ Mit Lachen und Beifallsgeschrei wurden die Pariser Molière untreu und huldigten von Szene zu Szene anerkennender der Wiener Vorstadtszenerie à la Nestroy.“ Kreissler geizte auch nicht mit Lob für das dargebotene Schauspiel und insistierte auf dessen Erfolg beim französischen Publikum: „Nestroys Wiener Sprache und Wiener Witz, seine kaustische Ironie werden oft auch im deutschsprachigen Raum nicht ganz begriffen. Doch: war es die Inszenierung, waren es die Bühnenbilder, war es die Musik oder gar die Kunst der Schauspieler? Das Publikum, gut zur Hälfte aus Leuten bestehend, die kein Wort Deutsch verstanden, geschweige denn Wienerisch, und die sich daher der Transistoren bedienen mußten, dieses Publikum ging mit wie selten bei einer fremdsprachigen Aufführung. Josef Meinrad[7], Inge Konradi[8], Adrienne Gessner[9], Fred Liewehr[10], Hugo Gottschlich[11], Jane Tilden[12], Lotte Ledl[13] und all die anderen ließen ein Feuerwerk los, an das sich die anwesenden Pariser noch lange erinnern werden. So kam es zum Triumph einer Nestroyschen Posse in der Comédie Française![14]

Ein Blick ins Archiv der Comédie Française bestätigt durchaus das Ausmaß des Erfolgs und gibt Auskunft über den finanziellen Erfolg der Vorstellungen des Burgtheaters an der Comédie: „Alle fünf Vorstellungen fanden so viel Beachtung, dass zahlreiche Leute keinen Platz finden konnten.[15]“ Einen unbestreitbaren Beweis für diesen Erfolg bilden die sehr guten Einnahmen, die der Jux von Nestroy in der Comédie Française erzielte: 13.552,50 Francs – mehr Umsatz als bei Grillparzer (7.709,50 Francs am ersten Abend und 11.977,50 Francs am zweiten) und Schnitzler (12.512 Francs am ersten Abend und 13.374 Francs am zweiten)[16].

Außer diesem öffentlichen und finanziellen Erfolg hatte jene einzige Tournee des Burgtheaters in Paris, die Nestroy im Programm hatte, ganz persönliche Folgen: die Aufführung des Jux übte einen direkten Einfluss auf eine Persönlichkeit aus, die im Bereich der kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich eine zentrale Rolle spielen sollte, Felix Kreissler, den Pionier der Österreichforschung in Frankreich und späteren Gründer (1975) der Zeitschrift Austriaca. 1967 hat Kreissler mit seiner Dissertation über Das Französische bei Raimund und Nestroy einen ersten Dank an Nestroy und an das Wiener Vorstadttheater ausgesprochen. Dazu ließ bei ihm die einmalige Aufführung des Juxan der Comédie Française, der er begeistert beigewohnt hatte, die Überzeugung entstehen, dieses Stück müsse auf Französisch zugänglich gemacht werden. 1985 veröffentlichte er die Übersetzung des Jux, die er für die Tournee des Burgtheaters in Paris verfertigt hatte (und beauftragte ferner Jean-Louis Besson und Heinz Schwarzinger mit der Übersetzung des Zerrissenen). Beide Übersetzungen erschienen dann als Nummer 5 der Buchreihe „France-Autriche“ des CERA (Centre d’Études et de Recherches Autrichiennes), das Kreissler schon 1970 gegründet hatte. Die Veröffentlichung der ersten Übersetzungen Nestroys ins Französische im 20. Jahrhundert ist als direkte Folge des erfolgreichen Gastspiels des Burgtheaters in Frankreich zu verstehen[17].

Quellen und externe Links

Bibliografie

  • Comédie Française. Activités de la saison 1967–1968. (1er septembre–31 juillet). Bibliothèque de la Comédie Française, S. 69.
  • Comédie Française : Salle Richelieu 1967. Registre journalier 1967 (Cote: R 680). Bibliothèque de la Comédie Française, S. 290–294.
  • Kreissler, Felix: Die ,Burg‘ an der Comédie Française. In: Friedrich Langer (Hg.): Die Welttournee des Burgtheaters. Wien, Berlin: Koska 1969, S. 75–79.
  • Lacheny, Marc: Nestroy in Frankreich. Zur Rezeption seiner Stücke auf den französischen Bühnen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. In: Nestroyana 29 (2009), S. 87–98.
  • Lacheny, Marc: Grillparzer in Frankreich. Zur Rezeption seiner Stücke auf den französischen Bühnen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis heute. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 3. Folge, Band 27 (2017–2018), S. 182–196.

Autor

Marc Lacheny

Onlinestellung: 03/10/2024