Franz von Dingelstedt

Franz von Dingelstedt (* 30. Juni 1814 in Halsdorf, Hessen, † 15. Mai 1881 in Wien) war ein deutscher Dichter, Journalist und Theaterdirektor, der Anfang der 1840er Jahre als Autor der Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters und Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung über das Pariser Opern- und Theaterleben berichtet und mit Heine und Georg Herwegh[1] freundschaftlichen Umgang gepflogen hatte, bevor er 1843 politisch die Seiten wechselte.
Biografie
Nachdem er ab 1851 als Intendant am Hoftheater in München und ab 1857 – auf Vermittlung von Franz Liszt[2], der dort als Operndirektor tätig war[3] – als Generalintendant am höfischen Theater in Weimar wirkte, wurde er 1867 Direktor der Wiener Hofoper (in seine Ära fiel die Eröffnung des Opernhauses am Ring) und leitete von Dezember 1870 bis zu seinem Tod (1881) das Burgtheater, das unter seiner Leitung eine echte Blütezeit erlebte[4].
Als Nachfolger Heinrich Laubes legte Dingelstedt, in krassem Gegensatz zu Laube – und wohl als Reaktion auf das Primat des Wortes auf der Bühne –, den größten Wert auf bunte Bühnenbilder und prunkvolle Inszenierungen[5].
Das Repertoire des Burgtheaters unter Dingelstedts Leitung enthielt weiterhin moderne französische Stücke, um, ähnlich wie in der Ära Laube, aber in viel geringerem Maße, dem Geschmack des zahlenden Publikums entgegenzukommen. Zu Dingelstedts Direktionszeit erzielte eben die Aufführung einer dramatisierten Fassung von Alphonse Daudets[6] berühmtem Roman Froment jeune et Risler aîné mit Adolf [von] Sonnenthal[7] und Friedrich Mitterwurzer[8] in den Titelrollen unter dem Titel Fromont junior & Risler senior[9] den gewaltigsten Erfolg[10].
Dingelstedt bemühte sich aber, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Laube wie zu seinen Nachfolgern Wilbrandt[11] (1881–1887) und Förster[12] (1888–1889, auch Übersetzer zahlreicher französischer Stücke ins Deutsche), das französische Unterhaltungsstück auszuschalten: In gut zehn Jahren wurden nur 22 französische Novitäten gezeigt, ein deutlicher Unterschied zu Laubes Direktionszeit. Anders als unter Laube, der auf Kosten Molières dem Konversationsstück den Vorzug gab, entstand unter Dingelstedt eine echte Molière-Renaissance. In einer Rede von 1873 stellt Dingelstedt den französischen Hauptvertreter der klassischen Komödie neben den von ihm hoch geschätzten Shakespeare, dem er schon 1864 am Weimarer Hoftheater einen bedeutenden Zyklus gewidmet hatte, und 1875, diesmal am Burgtheater, eine ganze Woche widmen sollte. Als Programmgestalter entfernte sich Dingelstedt also deutlich von der Dominanz französischer Unterhaltungsstücke, die er als „Jahrmarktswaare“, als „Spottgeburten aus Dreck und Feuer“ bezeichnete[13], wobei er eindeutig den Dramen Shakespeares und Hebbels[14] den Vorzug einräumte.
Diese Position hatte zur Folge, dass das zeitgenössische französische Lustspiel, v.a. die ‚comédie-vaudeville‘, am Burgtheater immer mehr an Bedeutung verlor (parallel dazu hatte die Entstehung der Operette 1858 in Paris schon zuvor das traditionelle Vaudeville à la Scribe und Labiche verdrängt, so dass das Vaudeville nach 1870 zu Gunsten der triumphierenden Operette fast verschwand), während Molière wieder an Boden gewann: Von 1878 bis 1976 wurden am Burgtheater mehr als doppelt so viele deutschsprachige Molière-Inszenierungen gegeben wie in den 100 Jahren davor (31 im Vergleich zu 13).
Diese auffällige Konvergenz zwischen Rückgang des Konversationsstücks und der Boulevard-Dramatik einerseits und verstärkter Molière-Rezeption andererseits ist auch am Beispiel Scribes sichtbar: Zwischen 1802 und 1872 zählte er mit 72 Inszenierungen zu den meistgespielten Autoren am Burgtheater; mit 14 Inszenierungen im Zeitraum danach verlor er aber seine ursprüngliche Bedeutung, und Boulevard-Autoren wie Mélesville[15] oder Dumas père[16] fielen ganz aus dem Programm. Mit der Molière-Renaissance traten hingegen Victor Hugo und Alfred de Musset[17] immer deutlicher in den Vordergrund.
Quellen und externe Links
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/georg-herwegh/
- ↑ https://www.lisztomanias.fr/liszt-et-la-france/
- ↑ John 1974
- ↑ Stiepka 1949
- ↑ Chalaupka 1957
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/alphonse-daudet/
- ↑ https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_s/Sonnenthal_Adolf_1832_1909.xml
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Friedrich_Mitterwurzer
- ↑ https://books.google.fr/books?id=lXxMoS_ktTQC&pg=PA1&hl=fr&source=gbs_selected_pages&cad=1#v=onepage&q&f=false
- ↑ Yates 1996, S. 78
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Adolf_Wilbrandt
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/August_Förster
- ↑ Dingelstedt 1876, S. 110
- ↑ https://friedrich-hebbel.de/gesellschaft/
- ↑ https://xn--thtre-documentation-cvb0m.com/content/m%C3%A9lesville-anne-honor%C3%A9-joseph-duveyrier-dit
- ↑ https://www.dumaspere.com/
- ↑ https://www.universalis.fr/encyclopedie/alfred-de-musset/
Bibliografie
Primärliteratur
- Dingelstedt, Franz: Eine Faust-Trilogie. Dramaturgische Studie. Berlin: Paetel 1876.
Sekundärliteratur
- Chalaupka, Christine: Franz Dingelstedt als Regisseur. 2 Bände. Wien: Univ. Wien 1957.
- John, Hans: Unveröffentlichte Briefe Franz Liszts an Franz Dingelstedt. In: Beiträge zur Musikwissenschaft 16 (1974), S. 137–153.
- Lacheny, Marc: Wechselseitige Diskurse über Burgtheater und Comédie Française von Laube (1849) zu Wildgans. In: Sigurd Paul Scheichl / Karl Zieger (Hg.): Österreichisch-französische Kulturbeziehungen 1867-1938. France-Autriche : leurs relations culturelles de 1867 à 1938. Innsbruck: innsbruck university press 2012, S. 61–90.
- Stiepka, A.: Franz Dingelstedt als Direktor des Hofburgtheaters. Wien: Diss. Wien 1949.
- Yates, W. E.: Theatre in Vienna. A Critical History 1776–1995. Cambridge: Cambridge University Press 1996, insb. S. 76–80.
Autor
Marc Lacheny
Onlinestellung: 14/10/2024