Adolf Loos

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Adolf Loos (um 1920)

Adolf Loos (* 10. Dezember 1870 in Brünn, † 23. August 1933 in Kalksburg bei Wien, heute Teil von Wien) ist vor allem als Wiener bzw. Prager Architekt bekannt, dabei vergisst die Historiographie die mit Frankreich geknüpften Verbindungen, insbesondere mit Paris, wo er sich zwischen 1923 und 1931 aufgehalten hat. Diese Pariser Periode, die laut dem Historiker Panayotis Tournikiotis[1] „den wahren Traum seines Lebens“ darstellt, hat lange seine Laufbahn geprägt, sowie die der Menschen, mit denen er dort in Kontakt stand. Sie repräsentiert die Zeit, in der seine Theorien über die Architektur im Dialog mit den damals in der französischen Hauptstadt innovativ schaffenden Künstlerkreisen internationale Bedeutung gewannen.

Biografie

Der 1870 in Brno (Brünn), einer tschechischen Stadt des österreich-ungarischen Reichs, geborene Adolf Loos ist als Architekt und Theoretiker berühmt: auch wenn der bedeutendste Teil seines Werks in den Wiener Jahren zwischen 1899 und 1923 entstanden ist, schreibt er bis zu seinem Lebensende zahlreiche Essays. Nach dem Zusammenbruch des österreichisch-ungarischen Reichs verlässt er Wien und hält sich in Frankreich und in Prag auf, wo er 1928 die Villa Müller erbaut, die damals in Bezug auf Raumplanung und Wohnkultur als vollendeter Ausdruck seines Denkens betrachtet wurde. Seine gerne polemischen, weit verbreiteten Schriften haben das Denken in der Welt der Architektur des 20. Jahrhunderts stark geprägt: bald wird er als einer der Gründer der modernen Architektur, bald als der erste postmoderne Architekt betrachtet.

Adolf Loos, Villa Tzara, 1925-1926

Dass Loos sich 1923 in Paris niederlässt, entspricht einer gewissen Kontinuität im Werdegang dieses überzeugten Europäers, der Reisen als Anregung zu Neuentdeckungen und als Inspirationsquelle betrachtet – das erinnert an die im 18. Jahrhundert initiierte „Grand Tour“ der Künstlereliten. Anlässlich kurzer Reisen im ersten Jahrzehnt der 1900er Jahre hatte sich Loos schon in Südfrankreich und in den französischen Kolonien Nordafrikas aufgehalten: in seinen ersten Schriften kommt Frankreich exemplarische Bedeutung zu, ebenso wie England und den Vereinigten Staaten, im Gegensatz zu Österreich und dessen Hauptstadt, die er für altmodisch und provinziell hält. Entscheidend für den Entschluss, Wien im Alter von schon fünfzig Jahren zu verlassen, sind jedoch vielmehr seine Begegnungen mit französischen Kollegen.

1912 macht er die Bekanntschaft des französischen Germanisten Marcel Ray, der so wie er selbst an der von Eugenie Schwarzwald[2], einer engen Freundin Adolf Loos‘, geleiteten Mädchenschule unterrichtet. Loos unterrichtet dort Kunstgeschichte und benutzt die Räume der Schule für seinen eigenen Architekturunterricht, während Ray seinerseits Kurse für französische Literatur erteilt. Fast unmittelbar nach ihrer ersten Begegnung beschließt Ray, Adolf Loos für Les Cahiers d’aujourd’hui zu übersetzen, eine den zeitgenössischen Denkern gewidmete, deutlich international orientierte französische Zeitschrift: „Er ist der ‚modernste‘ Architekt in Europa. Er hat eine Menge interessante Ideen und Theorien (…)“, schreibt er seinem Freund Georges Besson[3], dem Chefredakteur der Zeitschrift. Die zwei ersten von Ray übersetzten Texte sind praktisch unveröffentlicht: 1912 „Stil und moderne Architektur“, 1910 nur zum Teil in der Berliner Zeitschrift Der Sturm veröffentlicht, aber vor allem 1913 „Ornament und Verbrechen“, bislang nur in der Form von in Wien, Prag, Berlin und München gehaltenen Vorträgen vorliegend. Diese beiden Texte sind heute immer noch Loos‘ berühmteste Schriften. „Ornament und Verbrechen“ gehört zu den großen „Klassikern“ der modernen Architektur, denn die Veröffentlichung hat zahlreiche Polemiken über die Architektur ausgelöst, die weit über den französischen Rahmen hinausgingen. Die Veröffentlichungen dieses Essays von Adolf Loos in französischen Architekturzeitschriften belegen seine Bedeutung: L’Esprit nouveau, die von Le Corbusier geleitete Zeitschrift, nimmt 1920 diesen Artikel wieder auf, sowie 1926 L’Architecture vivante, dann 1930 L'Architecture d'aujourd'hui. 1931 interessieren Loos’ Texte auch die Germanistin Germaine Goblot, die sie übersetzt und ein Porträt des Architekten für die Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui verfasst.

Durch seine Publikationen und die in Wien geknüpften Verbindungen besitzt Loos ein gutes Netzwerk in Frankreich, so dass logischerweise das Projekt in ihm heranreift, sich in Frankreich niederzulassen, umso mehr als er zutiefst unter dem Mangel an offizieller Anerkennung leidet, und dies in einer Schaffensphase, in der seine beruflichen Beziehungen sich immer mehr verschlechtern. Diese Spannungen sind nichts Neues und reichen in die Zeit seiner Heimkehr aus den Vereinigten Staaten im Jahre 1897 zurück. Obwohl Loos in der österreichischen Hauptstadt viel erbaut hat (beinahe 70 Aufträge zwischen 1897 und 1918), wurden die von ihm realisierten Werke in der Öffentlichkeit oft negativ bewertet, so etwa 1910 die Fassade des gegenüber der Hofburg gelegenen Wohnhauses mit dem Geschäft Goldmann & Salatsch im Erdgeschoss, oder das abgestufte Flachdach der als Terrassenhaus konzipierten Villa Scheu. Und das Wichtigste: obwohl Loos zwischen 1918 und 1922 als Chefarchitekt für die Wiener Sozialwohnungen fungiert, gelingt es ihm nicht, eine Bewilligung zu erhalten für das Modell der Gartensiedlungen, das er entwickeln möchte, denn die Behörden entscheiden sich für den Bau von Wohnensembles gemäß dem Prinzip der dichten Besiedlung: da fasst der Architekt die Entscheidung zu kündigen und das Land zu verlassen.

Adolf Loos, Herrensalon Kniže, 1927-1928

Sowohl die Freundschaftsbande mit Ray als auch das Interesse, das ihm die Gruppe um die Cahiers d’aujourd’hui entgegenbringt, machen ihm den Anfang in Paris relativ leicht, und er wird sogar schon bei seiner Ankunft eingeladen, sich an der Ausstellung des „Salon d’automne“ zu beteiligen. Er wird offiziell von Francis Jourdain[4] unterstützt, dem Sohn des Initiators des „Salon d’automne“, der ihn 1924 zum Sekretär ernennen lässt, und 1926 bekommt er wieder die Möglichkeit, sein Werk dort auszustellen, insbesondere das Modell eines Projekts für Josephine Baker[5]. Diese französischen Ausstellungen, die ersten seiner Laufbahn, repräsentieren mächtige Verbreitungsmedien für das Denken von Adolf Loos. Die Rezeption ist geteilt und erinnert an die Polemiken, die schon die Veröffentlichung von Ornament und Verbrechen begleitet hatten: die einen kritisieren sein „Germanentum“ und seine internationalistische Dimension, die anderen loben seine Modernität und die Bereicherung für die junge französische Architektengeneration, z.B. Jourdain, Robert Mallet-Stevens[6] oder auch Gabriel Guévrékian.

Zusätzlich zu den Ausstellungen wird Loos auch aufgefordert, Vorträge zu halten, was seinen Status als Theoretiker bestätigt: so wird er 1926 von der Gesellschaft für die Fremdsprachenförderung in Frankreich (SPLEF, Société pour la propagation des langues étrangères en France) in die Sorbonne eingeladen. Dort greift er eine Konferenz wieder auf, die er schon mehrere Male im alten Kaiserreich gehalten hatte, „Der Mensch mit den modernen Nerven“: mit dieser Apologie der amerikanischen Modernität erntet er einen großen Erfolg innerhalb der Gemeinschaft der ausländischen Künstler und Intellektuellen.

Auch wenn die Ausstellungen, Vorträge und Publikationen Loos‘ Aufenthalt in Frankreich wie Meilensteine markieren und eine Tribüne zur Verbreitung seiner Theorien darstellen, bleiben die Aufträge spärlich. Loos erbaut in den Jahren 1926-1927 das Haus des Dichters Tristan Tzara und der Malerin Greta Knutson, Nr. 15 der avenue Junot im 18. Pariser Arrondissement[7], und 1928 gestaltet er für das Ehepaar Hugo und Lilly Steiner, schon in Wien seine Auftraggeber, das Haus für Herrenmode Knize auf den Champs-Elysées. Während das Modehaus auf zahlreichen von großen Fotografen realisierten Covers abgebildet wird, etwa Man Ray[8] oder Thérèse Bonnet[9][10], scheint die Villa die öffentliche Meinung zu spalten: Greta Knutson klagt über den Mangel an Komfort in ihrem Haus, und manche Freunde des Ehepaars bedauern, dass es so streng und düster wirkt. Die anderen Projekte, die uns von Ausstellungsmodellen oder Zeichnungen bekannt sind, gehen nicht über den Rahmen der Papierarchitektur hinaus: so das Haus von Josephine Baker, wobei man nicht weiß, ob diesem ein Auftrag zugrunde gelegen hat. Die geringe Zahl an Aufträgen erlaubt es Loos nicht, dauerhaft in Paris Fuß zu fassen, sodass er weiterhin in Wien und Prag als Architekt arbeiten muss.

Während seines nur von kurzen Besuchen in Österreich und der Tschechoslowakei unterbrochenen Aufenthalts in Paris verkehrt Loos mit den osteuropäischen Künstlerkolonien und knüpft an die Gewohnheiten des Wiener gesellschaftlichen Lebens wieder an, indem er viel Zeit in den Cafés verbringt, zum Beispiel in Montparnasse (Dôme, Coupole, Bal Bullier), wo er die Kontakte mit seinen früheren Freunden, Beschützern und Anhängern wiederaufnimmt. Zu ihnen zählen Gabriel Guévrékian, Jean Welz, Zlatko Neumann[11][12], Robert Mallet-Stevens oder auch Otto Bauer, fünf Architekten, von denen der eine oder der andere in Wien gelebt hat, bevor er in Paris zu schaffen begann: ihre Arbeiten zeugen von Loos‘ Einfluss, insbesondere wenn es darum geht, den sogenannten Raumplan in ihrem Werk umzusetzen. Andere Architekten wie Le Corbusier und Francis Jourdain entdecken das Werk von Adolf Loos durch seine in Frankreich übersetzten Schriften und integrieren sein Denken in ihre Werke: so zum Beispiel Jourdains Sessel in Form eines Kommas (Fauteuil „Virgule“), eine Variation des „Knieschwimmers“, eines von Loos‘ Lieblingssesseln, den man in fast allen seinen Innenräumen sehen kann.

Ungeachtet dieser Anerkennung und der Internationalisierung seines Denkens während der Pariser Periode kann Loos in Paris, materiell gesehen, kaum überleben, obwohl er auf die Unterstützung seiner tschechoslowakischen Kontakte aus Brno und Prag zählen kann. 1924-1925 arbeitet er in Frankreich als Handelsvertreter für die in Brno ansässige Möbelfirma UP Zavody (uměleckoprůmyslové závody, kunstgewerbliche Ateliers) und als Herausgeber der zweisprachigen (tschechisch-deutsch) Zeitschrift Bytová Kultura (Wohnkultur), die Texte von – vor allem französischen – Autoren wie Le Corbusier, Marie Dormoy[13] oder André Lurçat veröffentlicht. In diesem Sinne bedeutet Frankreich für Loos einen Einschnitt zwischen seiner ausschließlich in Wien verlaufenden Karriere vor dem Krieg und seinen letzten tschechoslowakischen Arbeiten am Anfang der 30er Jahre: er erreicht damit internationale Berühmtheit und wird für die junge Generation französischer – und tschechoslowakischer – Architekten zum unumgänglichen Theoretiker der Architektur der Moderne. So formuliert es schon 1913 Le Corbusier in einem Brief an Auguste Perret[14]: „Ich werde mich von nun an oft hinter Loos verstecken, wenn ich einen Boten mit der Überbringung meines Evangeliums beauftrage.“

Quellen und externe Links

Bibliografie

Primärliteratur

  • Goblot, Germaine : « Adolf Loos ». In : Revue d’Allemagne, n° 49, 15 novembre 1931, p. 991–999.
  • Loos, Adolf : « L’architecture et le style moderne ». In : Les Cahiers d’aujourd’hui, n° 2, décembre 1912, p. 82–92.
  • Loos, Adolf : « Ornement et crime ». In : Les Cahiers d’aujourd’hui, n° 5, juin 1913, p. 247–256.
  • Loos, Adolf : « Ornement et crime ». In : L’Esprit nouveau, n° 2, novembre 1920, p. 159–168.
  • Loos, Adolf : « Histoire d’un pauvre homme riche ». In : Les Cahiers d’aujourd’hui, n° 8, janvier 1922, p. 62–66.
  • Loos, Adolf : « L’Inhumaine : Histoire féerique ». In : Neue Freie Presse, 29 juillet 1924, p. 9.
  • Loos, Adolf : « Ornement et crime ». In : L’Architecture vivante, printemps-été 1926.
  • Loos, Adolf : « Règles pour celui qui construit dans la montagne » et « Céramique ». In : Revue d’Allemagne, 15 novembre 1931, p. 1000–1009.

Sekundärliteratur

  • Brunhammer, Yvonne : « Les années parisiennes d’Adolf Loos, 1922–1928 ». In : Vienne 1880–1938 : L’apocalypse joyeuse, sous la direction de Jean Clair. Paris : Centre Georges Pompidou 1986, p. 586–593.
  • Meder, Iris : « Lilly Steiner und der Loos-Kreis in Paris ». In : Moderne auf der Flucht: Österreichische Künstler (und Künstlerinnen) in Frankreich 1938–1945, sous la direction d’Andrea Winklbauer. Vienne : Turia & Kant 2008, p. 113–127.
  • Ottillinger, Eva : « Loos, Paris und die Jungen ». In : Wien-Paris: Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne, 1880–1960, sous la direction d’Agnes Husslein-Arco. Vienne : Christian Brandstätter 2007, p. 319–327.
  • Poulot, Cécile : « La migration artistique d’Adolf Loos à Paris : la recherche d’une nouvelle reconnaissance dans un foyer artistique cosmopolite ». In : Artistic Migration and Identity in Paris, 1870-1940, sous la direction de Federico Lazzaro et Steven Huebner. New York : Peter Lang 2020, p. 61–77.
  • Poulot, Cécile : Adolf Loos, un architecte au carrefour de l’Europe. Paris : Hermann, 2024.

Autor

Cécile Poulot

Übersetzt von Hélène Belletto-Sussel

Onlinestellung: 14/03/2025