Germaine Goblot

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Germaine Goblot (* 15. April 1891 in Angers, † 21. Februar 1948 in Lyon), Tochter des französischen Wissenschaftsphilosophen Edmond Goblot[1] (1858–1953), war eine engagierte französische Germanistin, die während des Zweiten Weltkriegs unter Einsatz ihres Lebens Juden versteckt hat. Sie hat 1917 die agrégation d’allemand erworben und unterrichtete zunächst am Lycée des Pontonniers (heute: Lycée international des Pontonniers) in Straßburg, setzte ihre Karriere aber nach dem 1. Weltkrieg am Lycée de Jeunes Filles de Lyon-Saint-Just fort. Im Hinblick auf ihre Beziehung zu Österreich ist vor allem ihre Tätigkeit zu Gunsten von Karl Kraus von Bedeutung.

Biografie

Die umfangreiche Dokumentation, die sich im Maximilien Rubel-Fonds der Bibliothèque de documentation internationale der Universität Paris Nanterre, seit 2018 « La Contemporaine », befindet, zeugt von Goblots Beziehungen zu Kraus: Germaine Goblot, Übersetzerin und Forscherin, war auch eine enge Vertraute des Satirikers und seines Umfeldes. Über diese verschiedenen Kanäle bemühte sie sich ab 1929 darum, Kraus in Frankreich bekannt zu machen[2].

Als Übersetzerin beschäftigte sich Germaine Goblot vor allem mit dem aphoristischen Teil des Kraus’schen Werkes: So übersetzte sie in Zusammenarbeit mit Maximilien Rubel Auszüge aus Sprüche und Widersprüche (die Übersetzung erschien 1938 in Verbe) und, diesmal allein, 133 Aphorismen aus Sprüche und Widersprüche, 1947 unter dem Titel Contradictions in Nef erschienen, sowie 44 Aphorismen, wiederum aus Sprüche und Widersprüche, 1954 in Les Lettres Nouvelles. Hinzu kommen Übersetzungen von Auszügen aus Lob der verkehrten Lebensweise, die 1938 unter dem Titel Éloge de la vie à l’envers erneut in Verbe veröffentlicht wurden, sowie von Der Biberpelz, 1975 unter dem Titel Le manteau de castor in dem Karl Kraus gewidmeten Cahier de l’Herne. Der Rubel-Nachlass enthält sogar Entwürfe für Goblots und Rubels Übersetzung von Kraus’ Letzten Tage der Menschheit.

Als Forscherin bleibt Germaine Goblot die erste eigentliche Kraus-Interpretin in Frankreich. Sie verfasste zahlreiche unveröffentlichte Notizen über den Satiriker, den sie 1930 im Kontext der „Kerr-Affäre[3]“ unterstützte, und widmete ab 1929 mehrere Studien Kraus’ Werk und Biografie: einen Artikel mit dem Titel „Karl Kraus und der Kampf gegen die moderne Barbarei“, der 1929 in der Revue d’Allemagne erschien und in der Nummer 820–826 (Oktober 1929: 80–90) der Fackel fast vollständig abgedruckt wurde, in dem Kraus’ Lesungen, satirische Technik, Spracharbeit und Pressekritik dargestellt werden, sowie einen biografischen Artikel mit dem Titel „Die Eltern von Karl Kraus“, der 1950 posthum von Maximilian Rubel in der Zeitschrift Études Germaniques (Nr. 5/1: 43–53) veröffentlicht wurde und auf dem freundschaftlichen Austausch mit dem Wiener Satiriker beruht. Auffällig an Germaine Goblots unveröffentlichten Arbeiten zu Kraus’ Werk, die im Rubel-Nachlass zugänglich sind, ist die Tatsache, dass der Schwerpunkt eher auf Kraus’ Lyrik als auf seiner Prosa liegt, die, um Musil zu zitieren, allgemein als seine „Achillesferse“ gilt[4]. Abgesehen von ihren verstreuten Notizen und Aufsätzen über Kraus bereitete Goblot unter der Leitung von Professor Maurice Boucher sogar eine Dissertation über den Wiener Satiriker mit dem Titel La vie et le verbe dans l’œuvre de Karl Kraus (Leben und Wort im Werk von Karl Kraus) vor. Nachdem Germaine Goblot die ersten Kapitel ihrer Dissertation verfasst hatte, machten die Kriegswirren ihre ursprünglichen Pläne jedoch zunichte, und die französische Germanistin widmete sich fortan ganz dem Kampf gegen den Nationalsozialismus. Sie starb 1948 im Alter von 55 Jahren, zu einem Zeitpunkt, an dem sie mehr denn je entschlossen war, ihre Arbeit über Kraus fortzusetzen.

Auf persönlicher Ebene schließlich zählte Germaine Goblot, wenn auch nicht zu Kraus’ engstem Kreis, so doch zu seinen Freunden, was dem im Rubel-Nachlass gesammelten Briefwechsel mit dem Satiriker zu entnehmen ist. Insgesamt drei Karten, ein Telegramm und ein Brief dokumentieren nicht nur die Beziehungen zwischen Kraus und der französischen Germanistin, sondern auch die generelle Verbundenheit des Satirikers mit Südfrankreich, wie sie aus seinen verschiedenen Aufenthalten in der Region Var ab 1929 hervorgeht[5]. Auffallend ist, dass Goblot weiterhin enge Beziehungen zu Kraus’ Umfeld pflegte: So schickte Helene Kann[6] vor und nach Kraus’ Tod (von 1930 bis 1939) etwa zehn Briefe an Goblot, und nach dem Tod des Satirikers 1936 intensivierte sich sogar ihre Freundschaft.

Schließlich ist zu erwähnen, dass Germaine Goblot im Mai 1931 zu den Unterzeichner*innen des „Theaters der Dichtung Karl Kraus“ gehörte. Auch Kraus lobte immer wieder die „Bemühungen [von Goblot], Brücken zwischen der französischen und der deutschen Kultur zu schlagen[7]“.

Quellen und externe Links

Bibliografie

  • Gauvrit, Christiane: Au Lavandou en 1929. Karl Kraus, celui qui savait… L’écrivain autrichien, critique prophétique du nazisme, séjourna dans le Var. In: Figure libre. Le petit journal du réseau lalan 2006, S. 4.
  • Lacheny, Marc: Petite contribution à l’histoire des relations culturelles franco-autrichiennes au XXe siècle : Karl Kraus et les germanistes français de son temps. In : Sigurd Paul Scheichl und Karl Zieger (Hrsg.): Österreichisch-französische Kulturbeziehungen 1867-1938 / France-Autriche : leurs relations culturelles de 1867 à 1938. Innsbruck: iup 2012, S. 203–221.
  • Musil, Robert: Prosa und Stücke, kleine Prosa, Aphorismen, Autobiographisches, Essays und Reden, Kritik. Reinbek: Rowohlt 1978.
  • Timms, Edward: Karl Kraus. Apocalyptic Satirist. The Post-War Crisis and the Rise of the Swastika. New Haven und London: Yale University Press 2005.

Autor

Marc Lacheny

Onlinestellung: 01/02/2025