Herbert Eichholzer

Herbert Eichholzer (1903–1943) war Architekt in Graz und während des Zweiten Weltkriegs eine der österreichischen Schlüsselfiguren des kommunistischen Widerstands gegen das NS-Regime. Eine besondere Rolle für sein architektonisches Werk spielte die Auseinandersetzung mit dem schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier. Eichholzers intensive Rezeption dieses Architekten war innerhalb der österreichischen Architektur der Zwischenkriegszeit einzigartig.
Biografie
In Graz geboren und aufgewachsen, absolvierte Herbert Eichholzer 1922–1928 das Hochbaustudium an der Technischen Hochschule Graz. Weite Reisen führten ihn schon als Student durch ganz Europa und bis nach Abessinien und Eritrea. Auch nach Studienabschluss war er höchst mobil, mehrere Arbeitsaufenthalte in Deutschland, Griechenland, der Türkei, in Paris und Moskau ermöglichten ihm wichtige berufliche Erfahrungen. Neben mehreren anderen Fremdsprachen sprach er fließend Französisch und hielt sich seit den 1920er Jahren mehrmals in Frankreich auf, zum Teil mehrere Monate lang. In Graz und der Steiermark konnte er innerhalb von nur zehn Jahren zahlreiche Bauten realisieren.
Seit seiner Studentenzeit politisch links engagiert, wurde er 1934 als Mitglied des Republikanischen Schutzbunds inhaftiert. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ 1938 flüchtete er von Graz über Triest nach Paris, wo sich die Auslandsleitung der Kommunistischen Partei Österreichs befand. Nach einigen Monaten reiste er weiter nach Istanbul, wo er die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky traf. Beide kehrten über Umwege in die damalige „Ostmark“ zurück, um im kommunistischen Widerstand tätig zu werden. Als Dolmetscher in der deutschen Wehrmacht in Verdun dienend wurde Eichholzer verraten, verhaftet und 1942 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Tode verurteilt. Im Todesurteil[1] wurde auf seinen Arbeitsaufenthalt im Pariser Atelier von Le Corbusier und dessen mehrheitlich zu ‚Kulturbolschewisten‘ entartet seiende Schüler verwiesen. Am 7. Jänner 1943 wurde Herbert Eichholzer in Wien hingerichtet.
Werk
Herbert Eichholzer nahm als integrative Persönlichkeit in seinem Werk Anregungen unterschiedlicher Art auf. Ein besonderes Vorbild war für ihn der aus der Schweiz stammende Architekt Le Corbusier (1887–1965), der in Paris ein großes Büro führte und bereits in den 1920er Jahren international Bekanntheit erreicht hatte. Informationen über dessen Ideen, Planungen und Bauten waren auch in Graz über Bücher und Zeitschriften verfügbar, darunter etwa Le Corbusiers programmatisches Buch Vers une architecture, das 1926 in deutscher Übersetzung als Kommende Baukunst vorlag. 1930 waren in Graz in einer Wanderausstellung des Deutschen Werkbundes auch dessen Entwürfe zu sehen. Konservativ-nationalistische Grazer Vertreter des traditionellen Bauens, die das lokale Kulturleben dominierten und mit denen Eichholzer oft zu kämpfen hatte, sahen hingegen in dem gebürtigen Schweizer Le Corbusier den ‚Konstrukteur der Wohnmaschine‘, die Symbolfigur eines ‚seelenlosen‘ internationalen Technizismus und einen dem deutschen Wesen fremden, exzentrischen ‚Franzosen‘.
Eichholzer absolvierte im Winter 1929/1930 drei Monate lang ein (wohl unbezahltes) Praktikum in Le Corbusiers gemeinsam mit Pierre Jeanneret geführtem Pariser Architekturatelier, als einer von zahlreichen Mitarbeitern und Volontären aus der ganzen Welt. Nach eigenen Angaben war er in dieser Volontärszeit mit Planungen für Großbauten wie das Zentrosojus-Verwaltungsgebäude in Moskau befasst. Er besuchte sicher auch Bauten Le Corbusiers in oder in der Nähe von Paris. Diese Arbeitserfahrung sollte wesentlichen Einfluss auf sein weiteres Werk haben. Seither passte er sich in seinem Zeichenstil und in der Gestaltung seiner Pläne (Typographie, Nummerierung, etc.) dem Vorbild des Pariser Ateliers an.

Mit etwas zeitlichem Abstand verarbeitete er auch in seinen eigenen Entwürfen in den folgenden Jahren in Bauweise und Ästhetik die bei Le Corbusier und Pierre Jeanneret gesammelten Eindrücke. Einige seiner zum Teil gemeinsam mit Grazer Kollegen gebauten Einfamilienhäuser bilden mit freiliegenden Sichtbetontreppen, Pilotis, Fensterbändern und Dachgärten einen engen Konnex zu den Häusern der damals schon weit bekannten Arbeitersiedlung in Pessac bei Bordeaux (1924–1926), zur Villa Savoye[2] in Poissy (1929–1931), die bei Eichholzers Aufenthalt in Paris gerade in Bau befindlich war, zu den 1922 entstandenen Entwürfen für das Haus Citrohan[3] sowie für das Immeuble-Villa[4]. 1935 sprach Eichholzer einem Grazer Bauherrn gegenüber „von seiner Wertschätzung für Le Corbusier und dessen großartigen Plänen für eine bauliche Neugestaltung der Pariser Innenstadt nach völlig neuen Baumethoden.[5]“
Mit dieser deutlich artikulierten Nähe zu Le Corbusier stand er damals im Gegensatz zu seinen Wiener Architektenkollegen, die kaum Affinitäten zu diesem Architekten hatten (eine Ausnahme war Ernst A. Plischke[6], mit dem Herbert Eichholzer Mitte der 1930er Jahre in Kontakt stand). Auch sonst stieß die französische Architektur – im Gegensatz zur bildenden Kunst – in Wien auf relativ wenig Interesse. Ausnahme war 1934 die vom Wiener Hagenbund präsentierte, von der Société des Architectes Diplomés par le Gouvernement veranstaltete Ausstellung Französische Architektur der Gegenwart, bei der allerdings Bauten Le Corbusiers fehlten.
Für Österreich außergewöhnlich war auch die Nähe von Möbelentwürfen aus Eichholzers Atelier zu der in Frankreich arbeitenden irischen Designerin Eileen Gray[7] (1878–1976). Deren Entwürfe wurden in Wien zu dieser Zeit nicht rezipiert, müssen Eichholzer jedoch bekannt gewesen sein, wie etwa die Wahl des Materials Kork oder bestimmte Form- und Materialkombinationen seiner Möbel zeigen. So erinnert die voluminös erscheinende zylindrische Polsterung in Kombination mit Stahlrohr oder Holz bei mehreren seiner Fauteuils von 1932/1933 an Grays schon damals ikonischen Armsessel Bibendum von 1929, also aus dem Jahr, wo Eichholzer gerade in Paris war und dort Grays Verkaufsgalerie Jean Désert besucht haben konnte.
1936 nahm Herbert Eichholzer gemeinsam mit Friedrich Zotter[8], seinem ehemaligen Lehrer an der Technischen Hochschule, mit einem Projekt am Wettbewerb für den österreichischen Staatspavillon auf der Weltausstellung in Paris teil. 1937 fuhr er, wohl anlässlich dieser Schau, wieder in die französische Hauptstadt, wo er bei dieser Gelegenheit offensichtlich die Cité de la Muette[9] der Architekten Beaudouin[10] und Marcel Lods[11] im Vorort Drancy besucht hat. Diese Großsiedlung war 1935 in österreichischen Fachzeitschriften wie der Allgemeinen Bau-Zeitung und der Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines als Großversuch weitgehendster Normierung im Wohnungsbau publiziert worden, ohne jedoch sonst in Österreich auf wesentliche Resonanz zu stoßen. Herbert Eichholzer hingegen war sich der Notwendigkeit der Industrialisierung des Bauvorganges deutlich bewusst.
1938 war er, bevor er auf Einladung Clemens Holzmeisters[12] weiter ins Exil in die Türkei reiste, ein letztes Mal in Paris. Ein halbes Jahr lang arbeitete er als freier Mitarbeiter bei Architekt Albert Laprade[13] (1883–1978), damals Chefarchitekt „des bâtiments civils et palais nationaux“. Er entwarf Hotels und Siedlungsbauten in den französischen Alpen, vermutlich in Zusammenhang mit der von Laprade und anderen Architekten geplanten und gerade in Errichtung befindlichen Rhône-Talsperre von Génissiat, die touristisch genutzt werden sollte.
Quellen und externe Links
- ↑ Faksimile: Ecker 2004, S. 181–206
- ↑ https://www.villa-savoye.fr/decouvrir/histoire-de-la-villa-savoye
- ↑ https://www.fondationlecorbusier.fr/oeuvre-architecture/projets-maison-citrohan-sans-lieu-1922/
- ↑ https://www.fondationlecorbusier.fr/oeuvre-architecture/projets-immeubles-villas-sans-lieu-1922/
- ↑ Ecker 2004, S. 89
- ↑ http://www.architektenlexikon.at/de/468.htm
- ↑ https://www.dictionnaire-creatrices.com/fiche-eileen-gray
- ↑ http://www.architektenlexikon.at/de/721.htm
- ↑ https://drancy.memorialdelashoah.org/le-memorial-de-drancy/qui-sommes-nous/histoire-de-la-cite-de-la-muette.html
- ↑ https://hls-dhs-dss.ch/fr/articles/045557/2002-07-02/
- ↑ https://archiwebture.citedelarchitecture.fr/archive/fonds/FRAPN02_LODS
- ↑ http://www.architektenlexikon.at/de/241.htm
- ↑ https://archiwebture.citedelarchitecture.fr/archive/fonds/FRAPN02_LAPRA
Bibliografie
- Ecker, Dietrich: Herbert Eichholzer. Architekt (1903–1943). Hg. v. Peter Schurz. Wien–Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2004.
- Senarclens de Grancy, Antje: Keine Würfelwelt. Architekturpositionen einer „bodenständigen“ Moderne. Graz 1918–1938. Graz: HDA-Verlag 2007.
- Senarclens de Grancy, Antje / Halbrainer, Heimo: Totes Leben gibt es nicht. Herbert Eichholzer 1903–1943. Architektur – Kunst – Politik. Wien–New York: Springer-Verlag 2004.
Autor
Antje Senarclens de Grancy
Onlinestellung: 16/12/2024