Friderike Zweig

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Friderike Zweig (1882–1971), etwa 1920

Friderike Zweig (* 4. Dezember 1882 in Wien ; † 18. Januar 1971 in Stamford, USA) kennt man vor allem als die erste, geschiedene Frau des berühmten Dichters Stefan Zweig (verh. 1920–1938). Ein umfangreicher Briefwechsel dokumentiert diese Liebes- und Arbeitsbeziehung vom ersten Kennenlernen 1912 bis zu Stefan Zweigs Freitod in Brasilien 1942[1].

Biografie

Jahrelang ist Friderike Zweig involviert in den literarischen ‚Betrieb‘ ihres Mannes – als Sekretärin, Gesprächspartnerin, möglicherweise auch Mit-Autorin. Auch nach seinem Tod setzt sie sich für sein Werk ein und veröffentlicht Arbeiten, in denen Leben und Werk von Stefan Zweig bzw. ihr Leben an seiner Seite im Zentrum stehen[2].

Weniger bekannt als die Schriftsteller-Gattin ist Friderike Zweig in ihrer Rolle als emanzipierte Frau, die sich – den zeitgenössisch eingeschränkten Möglichkeiten weiblicher Kunstproduktion zum Trotz – zeit ihres Lebens eigenständig intellektuell und kreativ betätigt[3]. Dabei ist schon sehr früh ein besonderes Interesse an der französischen Sprache und Kultur zu erkennen.

Spaziergänge mit einer französischen Bonne gehören zu den frühesten Kindheitserinnerungen der am 4. Dezember 1882 in einer Familie des gehobenen jüdischen Bürgertums geborenen Friderike Burger. Nach Abbruch des Mädchengymnasiums wendet sie sich einer Lehrerinnenausbildung für die französische Sprache zu, um alsbald mit Französischunterricht – neben literarischen Publikationen in Zeitschriften und Zeitungen – Geld zu verdienen[4].

Die 1906 geschlossene Ehe mit dem Juristen Felix von Winternitz, aus der zwei Töchter hervorgehen (*1907 Alexia Elisabeth, *1910 Susanna Benediktine), wird 1914 geschieden. Mit Stefan Zweig, den sie 1912 kennengelernt hat, übersiedelt sie 1919 in ein Haus in Salzburg, 1920 erfolgt die Eheschließung. Die Verbundenheit mit der französischen Sprache und Kultur, die auch eine wesentliche Gemeinsamkeit mit Stefan Zweig darstellt, zeigt sich schon früh in der Pflege eines Netzwerkes persönlicher Kontakte, ab den 1920er Jahren in einer regen Übersetzungstätigkeit französischsprachiger Literatur. Später erweist sich ihre Biographie über den französischen Bakteriologen Louis Pasteur[5], die Anfang 1939 erscheint, als wesentliches Dokument auf ihrem Fluchtweg ins amerikanische Exil.

Friderike Zweigs persönliche Kontakte mit Frankreich und Übersetzungstätigkeit

Für Friderike Zweigs persönliche Kontakte nach Frankreich ist die Beziehung zu Stefan Zweig ausschlaggebend, und dennoch ist ersichtlich, dass sie ihr Netzwerk auch eigenständig und weitgehend unabhängig von Stefan Zweig pflegt und weiter ausbaut. Ein Beispiel dafür ist die Bekanntschaft mit Romain und Madeleine Rolland: Hat Friderike Zweig es zunächst Stefan Zweig zu verdanken, dass sie bei ihrem ersten Parisaufenthalt im April 1914 sowohl Romain Rolland als auch den Übersetzern von Jean Christophe, Erna[6] und Otto Grautoff[7], begegnet, so sind in späteren Jahren mehrfach Besuche Friderike Zweigs bei den Rollands verzeichnet, die sie ohne Stefan Zweig unternimmt (etwa im Oktober 1927, im Januar 1932 und im Januar 1938). Dank Rolland, dem Zweigs Roman Vögelchen (1919) gewidmet ist, kann sie Kontakte zur französischen Sektion der Frauenliga herstellen. Als 1921 in Salzburg die Sommerschule der englischen Sektion der Liga stattfindet, ist auch Madeleine Rolland unter den Rednerinnen. In den Spiegelungen bezeichnet Zweig Madeleine Rolland und Andrée Jouve als Freundinnen auf Lebenszeit[8]. Als nahe Freunde hervorgehoben werden in ihren Memoiren zudem Julien Cain[9], administrateur général der Bibliothèque nationale, sowie dessen Frau Lucienne Cain[10]. Gemeinsam mit Julien Cain und Georges Duhamel[11] gelingt es Friderike Zweig, im Frühjahr 1940 eine Einladung Stefan Zweigs nach Paris zu initiieren, die zum Vortrag „Das Wien von Gestern“ führt[12].

Was die eigene literarische Tätigkeit betrifft, beschreibt Friderike Zweig in ihren Memoiren, wie ihr ab den 1920er Jahren die Unterstützung der Karriere ihres Mannes keinen Raum lässt für eigene kreative und schriftstellerische Arbeit. So findet sie, die bis 1920 mehrere Romane und zahlreiche kleinere Arbeiten in Zeitschriften veröffentlicht hat[13], im Übersetzen „eine Art schriftstellerische Betätigung […], die sich den Umständen besser anpassen[14]“ lässt. Von 1920 bis 1930 erscheinen neun Titel, die Friderike Zweig aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hat und die „als Teil ihrer Friedensarbeit verstanden werden können[15]“: René Arcos: Das Gemeinsame (Leipzig: Insel 1920), Magdeleine Paz: Weib. Roman (Leipzig: Rhein-Verlag 1920), Emile Verhaeren: Fünf Erzählungen (Leipzig: Insel 1921), Emile Verhaeren: Der seltsame Handwerker und andere Erzählungen (Leipzig: Insel 1923), Anatole France: Das Leben der heiligen Johanna (Berlin: Späth 1926), Théophile Gautier: Spirita (Hellerau bei Dresden: Avalun-Verlag 1926), Maurice Magre: Das Laster von Granada (München: Musarion Verlag 1928), Edmond Jaloux: Dich hätte ich geliebt. Roman (Leipzig: Reclam 1928), René Arcos: Medardus (Leipzig: Insel 1930). In den Spiegelungen des Lebens schreibt Zweig, dass sie mehr als ein Dutzend Bücher sowie außerdem Gedichte und Essays übersetzt habe. Doch nicht alle Übersetzungsprojekte werden bis zur Publikation verfolgt: So beginnt sie beispielsweise im Sommer 1925 an der Übersetzung von Léon Bazalgettes Henry Thoreau: sauvage (Paris: F. Rieder et Cie éditeurs 1924) zu arbeiten, ohne dass daraus eine Publikation resultieren sollte. Vermittelt wird ihr diese Übersetzungsarbeit von Stefan Zweig, und auch in anderen Fällen ist eine enge Zusammenarbeit mit ihm auszumachen. So wird etwa die Übersetzung von Paz’ Weib von Friderike und Stefan Zweig gemeinsam unternommen, und auch die Übersetzungen von Verhaeren stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Umfeld und Wirkungskreis ihres zweiten Ehemannes. Eine genaue Untersuchung der Zusammenarbeit von Friderike und Stefan Zweig im Rahmen solcher Übersetzungsprojekte und Herausgeberschaften stellt ein wichtiges Forschungsdesiderat dar.

Innerhalb des eigenen literarischen Œuvres hat in Bezug auf die österreichisch-französischen Kulturbeziehungen die erwähnte biographische Arbeit über Louis Pasteur einen herausragenden Stellenwert. 1938 hält sich Friderike Zweig gerade für Recherchen in Paris auf, als sie von Hitlers Einmarsch in Österreich überrascht wird. Als das Buch Anfang 1939 erscheint, bereitet sie bereits ihre Emigration in die USA vor. Im Kontext der historisch-politischen Entwicklungen im Europa der 1930er Jahre zeichnet Zweig den französischen Bakteriologen als internationalen Humanisten und als „Führer aus dem unheimlichen Bereich tausendjähriger Leiden und Gefahren in eine Welt wahrhafter Genesung und Hoffnung.“ In seinem französischen Vorwort unterstreicht Louis Pasteur Vallery-RadotReferenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag.[16] Enkel des Bakteriologen, eine pazifistische Lesart der Biographie. Vallery-Radots Einführung sei, so Friderike Zweig, im Wesentlichen auch das Gelingen ihrer Flucht aus Frankreich in die USA zu verdanken: „Dieses Buch eines französischen Nationalhelden hat sich dann bei Behörden als eine Art von Legitimation erwiesen, daß ich mich um das Land verdient gemacht hatte, um so mehr, als es lobpreisende Einführungsworte von Professor Vallery-Radot, Pasteurs Enkel, enthielt.[17]“ Als „fortschrittsutopisches Zukunftsbuch in düsteren Zeiten[18]“ wird Zweigs Biographie über den französischen Bakteriologen zum „Flucht- und Überlebensbuch.[19]

Quellen und externe Links

  1. Vgl. Zweig u. Zweig 1981, 2006
  2. Vgl. Zweig 1947, 1961, 1964
  3. Vgl. Holmes u. Wörgötter 2023
  4. Vgl. Zweig 1964
  5. https://www.pasteur.fr/fr/institut-pasteur/notre-histoire/vie-oeuvre-louis-pasteur
  6. https://www.deutsche-biographie.de/pnd116826452.html
  7. https://www.deutsche-biographie.de/119489872.html
  8. Vgl. Zweig 1964, S. 84
  9. https://histoirebnf.hypotheses.org/39618
  10. Vgl. Zweig 1964, S. 132, 193
  11. https://www.academie-francaise.fr/les-immortels/georges-duhamel
  12. Vgl. Zweig 1964, S. 212
  13. Vgl. Zweig 1912/1913, 1914, 1919
  14. Zweig 1964, S. 129
  15. Gürtler 2023, S. 44
  16. academie-francaise.fr/les-immortels/louis-pasteur-vallery-radot
  17. Zweig 1964, S. 211
  18. Peck 2023, S. 161
  19. Peck 2023, S. 155

Bibliographie

Werke

  • Zweig-Winternitz, Friderike Marie: Louis Pasteur. Bild des Lebens und des Werkes. Bern: Alfred Scherz Verlag 1939.
  • Zweig, Friderike M.: Stefan Zweig. Eine Bildbiographie. München: Kindler Verlag 1961.
  • Zweig, Friderike Maria: Poems. Literaturarchiv Salzburg (LAS), Bestand Donald Prater, FZ-SDP/W1.
  • Zweig, Friderike Maria: Spiegelungen des Lebens. Wien, Stuttgart, Zürich: Hans Deutsch Verlag 1964.
  • Zweig, Friderike: Stefan Zweig. Wie ich ihn erlebte. Stockholm: Neuer Verlag 1947.
  • Zweig, Stefan u. Friderike Maria Zweig: „Wenn einen Augenblick die Wolken weichen“. Briefwechsel 1912–1942. Hg. v. Jeffrey B. Berlin u. Gert Kerschbaumer. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2006.
  • Zweig, Stefan u. Friderike Zweig: Briefwechsel 1912–1942. Bern: Scherz 1951.
  • Zweig, Stefan u. Friderike Zweig: Unrast der Liebe: ihr Leben und ihre Zeit im Spiegel ihres Briefwechsels. Hg. v. Petra Eisele. Bern, München: Scherz 1981.

Sekundärliteratur

  • Arcos, René: Das Gemeinsame. Übers. v. Friderike Maria Zweig. Mit 27 Holzschnitten v. Frans Masereel. Leipzig: Insel 1920.
  • Arcos, René: Medardus. Übertr. v. Friderike Maria Zweig. Mit 1 Aquarell u. 9 Holzschn. v. Frans Masereel. Leipzig: Insel 1930.
  • Burger, Fritzi: Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten: Ein Beitrag zur Psychologie des Mädchens. Wien: L. Rosner 1904.
  • France, Anatole: Das Leben der heiligen Johanna. Übers. v. Friderike Maria Zweig. Berlin: Späth 1926.
  • Gautier, Théophile: Spirita. Mit 52 Zeichnungen von Karl M. Schultheiss. Ins Dt. übertr. v. Friderike M. Zweig. Hellerau bei Dresden: Avalun-Verlag 1926.
  • Gürtler, Christa: Friderike Winternitz Zweig – Intellektuelle und Friedensaktivistin. Das Engagement in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. In: Deborah Holmes u. Martina Wörgötter (Hrsg.): Friderike ‚Zweig‘. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2023, S. 43–57.
  • Holmes, Deborah u. Martina Wörgötter (Hrsg.): Friderike ‚Zweig‘. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2023.
  • Jaloux, Edmond: Dich hätte ich geliebt. Roman. Übers. v. Friderike Maria Zweig. Leipzig: Reclam 1928.
  • Magre, Maurice: Das Laster von Granada. Roman. München: Musarion Verlag 1928.
  • Paz, Magdeleine: Weib. Roman. Mit einem Vorwort von Henri Barbusse. Ins Dt. übers. v. Stefan Zweig und Friderike Marie Winternitz-Zweig. Basel, Leipzig: Rhein-Verlag 1920.
  • Peck, Clemens: Mikrobenführer. Humanistische Bakteriologie in Friderike Zweigs Pasteur. In: Deborah Holmes u. Martina Wörgötter (Hg.): Friderike ‚Zweig‘. Weibliche Intellektualität im frühen 20. Jahrhundert. Würzburg: Königshausen & Neumann 2023, S. 155–167.
  • Verhaeren, Emile: Der seltsame Handwerker und andere Erzählungen. Mit 26 Holzschnitten v. Frans Masereel. Übertr. v. Friderike Maria Zweig. Leipzig: Insel 1923.
  • Verhaeren, Emile: Fünf Erzählungen. Mit 28 Holzschnitten von Franz Masereel. Übertr. v. Friderike Maria Zweig. Leipzig: Insel 1921.
  • Winternitz, Friderike Maria: Der Ruf der Heimat. Roman. Berlin: Schuster & Loeffler 1914 (Graz: Das Bergland Buch 1931. Eingeleitet von Emil Lucka).
  • Winternitz, Friderike Maria: Vögelchen. Roman. Berlin, Wien: S. Fischer 1919.
  • Winternitz, Friderike von: Traummenschen. In: Pester Lloyd (7.12.1912 bis 14.1.1913; 28 Folgen).

Autorinnen

Simone Lettner und Martina Wörgötter

Onlinestellung: 05/05/2025