Französische Populärmusik in Österreich
Der Einfluss von französischer Populärmusik auf die österreichische Musiklandschaft kann durch die Entwicklung des Kabaretts im 19. Jahrhundert über den Jazz während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, die Entstehung der Dialektwelle und des Austropop in den späten 1960er und 1970er Jahren bis in die Gegenwart beobachtet werden. Als besonders signifikant für den musikkulturellen Austausch zwischen Frankreich und Österreich können neben einzelnen Künstler*innen auch das Institut Français de Vienne und seine kulturellen Interventionen betrachtet werden.
Der Einfluss des französischen Cabarets auf das Wiener Kabarett

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr das Wiener Kabarett, dessen Ursprünge in Frankreich zu verorten sind, eine signifikante Entwicklung. Die Anfänge waren besonders durch die in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts enorm zunehmende Wandlung Wiens zur Großstadt beeinflusst. Im Gegensatz zum französischen Vorbild, dem Pariser cabaret artistique, spielten für das Wiener Kabarett die Traditionen des Volkstheaters eine prägende Rolle. Die wienerischen Traditionen zeichneten sich durch Volkssänger, Harfenisten und Bierfiedler aus, die in den Singspielhallen und Vergnügungslokalen des Wiener Praters beschäftigt waren. Nach dem Vorbild von Rodolphe Salis’[1] Le Chat Noir[2], das 1881 in Paris eröffnet wurde, schuf Felix Salten das Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin als erstes Kabarett in Österreich im Theater an der Wien im Jahr 1901, das jedoch nach sieben Vorstellungen geschlossen wurde.
1906 wurde an derselben Stelle das Kabarett Hölle etabliert. Hier feierte beispielsweise Fritz Grünbaum[3] seinen Durchbruch als philosophierender Conférencier. Die Orientierung am französischen Vorbild wurde evident, als der ehemalige Conférencier Achille Georges d’Ailly-Vaucheret, besser bekannt als Marc Henry[4], in die österreichische Kabarett-Entwicklung integriert wurde. Henry hatte zuvor im Pariser Le lapin agile gearbeitet und sollte später eine tragende Rolle in der österreichischen Kulturlandschaft einnehmen. Im selben Jahr eröffnete Henry gemeinsam mit Hannes Ruch das Kabarett Nachtlicht. Die Diseuse Marya Delvard[5] war der Star des Etablissements und Karl Kraus stand dem Projekt in der Anfangsphase beratend zur Seite. Künstler wie Roda Roda[6], Egon Friedell, Carl Leopold Hollitzer[7] oder Gertrude Barrison[8] traten dort auf. Das Etablissement schloss noch im selben Jahr und an seiner Stelle wurde 1907 das Cabaret Fledermaus[9] neu eröffnet. Henry hatte auch ebenda die künstlerische Leitung übernommen und Hollitzer, Barrison sowie Delvard konnten abermals eine Vielzahl von Auftritten verzeichnen.
Das Genre, das sich durch zeitkritische, zumeist literarische und oft die Obrigkeit provozierende Chansons auszeichnete, etablierte sich als wichtigste Form der Unterhaltung. Das „Brettl“, ein Begriff, der sich auf die Bretter, auf denen die Darbietungen stattfanden, bezieht, wurde zum Podium für scharfe Zeitkritik. Die nach der Jahrhundertwende entstehenden Kleinbühnen stellten eine charakteristische Mischform aus Kabarett und Theater dar, die sich durch polemisch-satirische und kulturkritische Einakter, Sketche und literarische Vortragsstücke auszeichnete. Einen ersten Höhepunkt erfuhr das Wiener Kabarett in den 1930er Jahren, als zeitweise bis zu fünfundzwanzig Kellerbühnen gleichzeitig in Wien existierten.[10] Die Programme setzen sich aus einem Kabarett-Teil bestehend aus Chansons und kurzen Szenen, einem zweiten Teil mit dem sogenannten „Mittelstück“, das mit einer Länge von vierzig Minuten zwischen der „Servierpause“ und der „Zahlpause“ programmiert war, sowie einem kabarettistischen Teil als Abschluss zusammen.[11] In der gesellschaftskritischen Darstellungsform umfasste die Altwiener Tradition des politischen Kabaretts durchaus subtile Methoden, wie etwa die gesangliche Parodie kombiniert mit kabarettistischen Einlagen. Der in der Theorie hohe kulturelle Anspruch der Unternehmung kollidierte jedoch bereits nach kurzer Zeit heftig mit dem in der Praxis bestehenden Unterhaltungsgebot. Ein Beispiel für den hohen künstlerischen Anspruch, den die Unternehmung an sich stellte, ist die einaktige Oper (Intermède) Le devin du village von Jean-Jacques Rousseau, die im Jahr 1909 im Cabaret Fledermaus aufgeführt wurde, Oskar Kokoschka Auftrittsmöglichkeiten bot und mit Egon Friedell und Alfred Polgar hochrangige Satiriker vorweisen, jedoch keine Erfolge verzeichnen konnte. In der Konsequenz fokussierte sich der überwiegende Anteil der Wiener Kleinkunstbühnen auf das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums.
Die politische Polarisierung in der Zwischenkriegszeit manifestierte sich in zunehmendem Maße auch in den Wiener Kabaretts. Karl Kraus nutzte in diesem Zusammenhang beispielsweise die Form des Couplets, um sich zu aktuellen Themen zu äußern, womit er der Tradition der französischen Operette folgte.
Französische Jazzmusiker in Wien
Die Rezeption französischer Populärmusik erfuhr während des Zweiten Weltkriegs aufgrund zu Zwangsarbeit in Wien verpflichteter Musiker einen Aufschwung. Während dieser Zeit fungierte die sogenannte Steffl-Diele, eine Hotelbar gegenüber dem Wiener Stephansdom, als das „geheime“ Jazzzentrum Wiens. Die Lokalität war eine Art Knotenpunkt des Widerstands gegen den NS-Staat. Der Pianist der Steffl-Diele, Ernst „Nesti“ Landl[12], spielte dort ab 1943 mit dem italienischen Sänger und Gitarristen Vittorio Ducchini, dem Geiger Herbert Mytteis und dem französischen Schlagzeuger Arthur Motta[13]. Motta hatte 1942 in Frankreich mit einem eigenen Ensemble einen Jazzwettbewerb für Amateure gewonnen. In der Folge war er in den erweiterten Kreis des Hot Club de France aufgenommen worden und hatte im Quintett des französischen Tenorsaxophonisten Roby Davis im Pariser Cabaret Club Ventadour gearbeitet. Nach einer Razzia durch die Gestapo wurden die Mitglieder dieses Quintetts 1943 zur Zwangsarbeit im Deutschen Reichsgebiet bestimmt und nach Wien deportiert. Drei von ihnen wurden in den Flugmotorenwerken Ostmark bei Wiener Neudorf eingesetzt. Der Violinist Roger Godet wurde als Bühnenarbeiter am Burgtheater angestellt, Davis an der Oper. Trotz der räumlichen Distanz, die durch die Arbeit und das Wohnen an verschiedenen Orten entstanden war, gelang es den Musikern, untereinander in Kontakt zu bleiben und auch gemeinsam zu musizieren. Darüber hinaus fanden sie Gelegenheit, mit gleichgesinnten Wiener Musikern in Verbindung zu treten. Arthur Motta genoss bereits nach kurzer Zeit eine Sonderstellung, da er die Möglichkeit erhielt, in einem Fremdarbeiterclub im Rondell, dem heutigen Jazzclub Porgy & Bess, eigene musikalische Veranstaltungen zu organisieren und ab Ende 1943 seinen Musikerberuf regulär auszuüben.[14]
Die Rolle der Kulturinstitute in der Rezeption der chanson française

Die französische Besatzungsmacht hatte in Wien signifikante Spuren hinterlassen, obwohl die Anzahl französischer Soldaten in Österreich bereits 1946 auf etwa 7.000 reduziert wurde. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kulturpolitik für Frankreich im Besatzungsregime eine besondere Priorität genoss, wurden in Wien verschiedene Institutionen etabliert, deren Ziel die Förderung der französischen Kultur in Österreich war. Darüber hinaus richtete die französische Militärverwaltung bereits Mitte September 1945 einen Veranstaltungsort für Konzerte ein, wofür französische Künstler*innen nach Österreich eingeladen wurden.
Jazz und andere Formen der populären Musik der Besatzungsmächte blieben der Bevölkerung weitestgehend verborgen, da diese Musik vorwiegend in den Offiziers- und Soldatenclubs aufgeführt wurde.[15] Ausländische Jazzgruppen besuchten Österreich vorerst sporadisch. Die französische Big Band von Ray Ventura[16], Ray Ventura und seine 25 Solisten, performte beispielsweise vom 2.-7. Februar 1947 neun Konzerte, die sogenannte Jazz Bühnenschau, im Wiener Konzerthaus.[17] Als populäres Genre der Unterhaltungsmusik dominierten Schlager und – zumindest in den 1950er Jahren noch – die Operette, während das deutschsprachige Chanson nach dem Zweiten Weltkrieg ein Nischendasein führte. Versuche, an die Kabarett- und Chanson-Tradition der Weimarer Republik anzuknüpfen, blieben zunächst wenig erfolgreich, ehe in den 1950er und 1960er Jahren eine Chanson-orientierte Liedkultur stärker in Erscheinung trat. Zu ihren Exponenten und Vertreterinnen gehörten beispielsweise Georg Kreisler (Ich hab’ deine Hand, Tauben vergiften, Das Mädchen mit den drei blauen Augen) und Cissy Kraner (Der Novak lässt mich nicht verkommen, Eine verzwickte Verwandtschaft, Ich wünsch’ mir zum Geburtstag einen Vorderzahn).
Eine Renaissance erlebte das deutschsprachige Chanson Ende der 1960er Jahre verknüpft mit der Entwicklung der Wiener Dialektmusik und der Entstehung des Austropop. Stark beeinflusst wurde die neue Liedermachergeneration insbesondere von Georges Brassens[18] und Jacques Brel[19]. Dieser Einfluss war nicht nur durch die Inhalte sondern insbesondere durch den Vortrag und den spezifischen Gesangsstil (Parlando, Sprechgesang) sowie die Begleitung durch das eigene Gitarrenspiel begründet. Signifikante Chanson-Elemente enthielt beispielsweise die Musik von André Heller[20] (Catherine), Marianne Mendt[21] (Komm, alter Pianospieler), Arik Brauer[22] (Sein Köpferl im Sand) oder Madcaps (I man I dram) (Friesenbichler 2008, S. 22). Besonders erwähnenswert sind Michael Heltaus[23] Jacques Brel-Nachdichtungen und -Interpretationen (Heltau singt Brel) Mitte der 1970er Jahre sowie Maria Bills Darstellung von Edith Piaf am Wiener Schauspielhaus (1982) und ihr gegenwärtiges Programm Bill singt Brel. Werner Jauk klassifizierte den Terminus Austropop anhand der Forderung, die Medienmacher Ende der 1960er Jahre an Amateurmusikschaffende gestellt hatten, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen: „zumindest deutsche – besser umgangssprachliche – Texte zu schreiben und vielleicht sogar musikalisch eigenständige österreichische Formen (das italienische und französische Unterhaltungslied mit den jeweils typischen, zumindest klanglichen Eigenheiten dürfte dabei das Vorbild gewesen sein) zu kreieren“[24].
Ferner wurde der Einsatz von französischer Populärmusik zu einem der Stilmerkmale der Proletenpassion, einem politischen Oratorium der österreichischen Gruppe Schmetterlinge. Die Band postulierte politisches Engagement in einem revolutionär-sozialistischen Sinne, das als Lehre und Moral der generationenübergreifenden sozialen Klassenerfahrung des Proletariats verstanden werden kann. So werden in der Inszenierung beispielsweise das Lied Der Mächtelmöchtel mit französischem Akzent gesungen, Cancan während der französischen Revolution getanzt, die Marseillaise angespielt sowie wiederkehrend Stilelemente der traditionellen französischen Musette eingearbeitet. Ferner trug die Hörfunksendung La Chanson, die zwischen 1969 und 1999 wöchentlich, zunächst auf Ö3 und später auf Ö1, ausgestrahlt wurde, zur Popularisierung französischsprachiger Musik bei. Konzipiert und gestaltet von Heinz-Christian Sauer, verfolgte die Sendung das Ziel, das Chanson, dessen Text als Wesentliches zuerst entsteht und dessen Musik die Aufgabe hat, den Text zu unterstreichen, in Österreich einem breiteren Publikum bekannt zu machen.
Die gegenwärtige Rezeption französischer Populärmusik in Österreich

Das Institut Français d’Autriche wurde 1926 unter dem Namen Centre de Hautes Études Françaises à Vienne (Zentrum für höhere französische Studien in Wien) gegründet. Gegenwärtig organisiert diese Institution eine Vielzahl an Veranstaltungen, zu denen Lesungen, Konzerte, Vorträge mit Bezügen zu Frankreich sowie Sprachkurse auf sämtlichen Niveaus zählen. Ein wesentliches Element der Vermittlungsarbeit des französischen Kulturinstituts stellt der Literatursalon im Palais dar, ein literarisch-musikalischer Abend, der die Vernetzung österreichischer und französischer Literatur und Musik fördert. Zu den Gästen zählten unter anderem Madeline Ménager-Lefebvre und Pauline Corette. Der Kulturverein Club du Mardi, der sich auf Popkultur spezialisiert hat, ist Veranstalter der Fête de la FrancOFFonie in Wien sowie der österreichischen Ausgabe der Fête de la Musique[25], die ihren Ursprung in Frankreich hat, mittlerweile jedoch weltweit stattfindet. Außerdem veranstaltet der Club du Mardi Bal Folk Tanzabende, bei denen französische und belgische Künstler*innen wie beispielsweise das Duo Artense oder Marinette Bonnert aufspielen. Darüber hinaus kooperiert der Club du Mardi mit der Radiosendung Les Sardines francophones, die jeden Montag von 22 bis 23 Uhr auf dem freien Radiosender Radio Orange ausgestrahlt wird. Konzipiert und gestaltet von Monika Heller, präsentiert die Sendung Musik aus Frankreich, Belgien, Québec und afrikanischen Ländern und kündigt frankophoniebezogene Veranstaltungen an. Weitere Beispiele für die anhaltende kulturelle Relevanz von französischsprachiger Populärmusik in der österreichischen Musiklandschaft sind die Indie-Band Mopedrock (Virage, 2014), sowie Zoë Straub[26], die mit dem Song Loin d’ici Platz 13 beim Eurovision Song Contest 2016 erreichte.
Quellen und externe Links
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/1023273225
- ↑ https://www.theatre-architecture.eu/db/?theatreId=6569&detail=history
- ↑ https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Fritz_Gr%C3%BCnbaum
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- ↑ https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_D/Delvard_Marya.xml
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/11874562X
- ↑ https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_H/Hollitzer_Carl-Leopold_1874_1 ...d=118584758
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/1062039610
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/7598833-1
- ↑ Rainer/ Rösler 1981, S. 131
- ↑ Rösler 1991, S. 165
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/135155215
- ↑ https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Motta_Arthur.xml
- ↑ Schulz 2003, S. 46
- ↑ Schulz 2003, S. 59
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/134889088
- ↑ Schulz 2003, S.109
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/118514520
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- ↑ Jauk 1995, S. 314
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/7844991-1
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/1178807703
Bibliografie
- Friesenbichler, Georg: Unsere wilden Jahre: die Siebziger in Österreich. Wien: Böhlau Verlag 2008.
- Jauk, Werner: Austropop. In: Rudolf Flotzinger, und Gernot Gruber (Hgg.). Von der Revolution 1848 zur Gegenwart (=Musikgeschichte Österreichs Bd.3). Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 312-321.
- Otto, Rainer und Rösler, Walter: Kabarettgeschichte, Abriss des deutschsprachigen Kabaretts. Berlin (DDR): Henschel 1981.
- Rösler, Walter: Gehn ma halt a bisserl unter. Kabarett in Wien von den Anfängen bis heute. Berlin: Henschel 1991.
- Schulz, Klaus: Jazz in Österreich 1920 – 1960, Eine Bildchronik von Klaus Schulz mit Hörbeispielen auf CD, Wien: Verlag der Apfel, 2003.
Autorin
Magdalena Fürnkranz
Onlinestellung: 26/08/2025