Paul Géraldy

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Paul Géraldy (1924)

Paul Géraldy (*6. Mai 1885, Paris, † 10. März 1983, Neuilly-sur-Seine) gehört zu jenen französischen Schriftstellern, die in der Zwischenkriegszeit national und international einige Beachtung gefunden haben, seither aber weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Auch in Österreich (besonders in Wien) hatte Géraldy in den 1920-er Jahren, nicht zuletzt dank der Bemühungen von Berta Zuckerkandl, beachtliche Erfolge zu verzeichnen und wohl auch die Vorstellung des österreichischen Publikums von der französischen Literatur dieser Zeit mitgeprägt. Seinen – im Gegenzug – unternommenen Versuchen, österreichische Schriftsteller (vor allem Hofmannsthal und Schnitzler) in Frankreich bekannt und zugänglich zu machen, war hingegen wenig Erfolg beschieden.

Biografie und Werk

Géraldy hat sich sowohl als Lyriker als auch als Dramatiker (seltener als Erzähler) betätigt. Er stammt aus dem Bildungsbürgertum, aus der « petite bourgeoisie intellectuelle », laut Encyclopedia Universalis[1], und gilt als Verteter einer den zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem dem Thema der Liebe, gewidmeten, von einer gewissen Sentimentalität geprägten Literatur. Zu seinen bekanntesten Werken zählen der Lyrikband Toi et moi (1912), eine Sammlung (intimistischer) Liebesgedichte, die auch heute noch gelesen werden (letzte Neuauflage: Paris: Stock 1999), sowie unter seinen zahlreichen Theaterstücken Les Noces d’argent (1917), Aimer (1921) und Robert et Marianne (1925), die immerhin alle drei an der Comédie Française uraufgeführt worden sind. Sie gelten als feinfühlige, wenn auch eher oberflächliche Konversationsstücke, deren Stärke in der Darstellung der zeitgenössischen (bürgerlichen) Gesellschaft liegt. In Zusammenarbeit mit Robert Spitzer [2] sind die Boulevardkomödien Si je voulais (1924, dt. Wenn ich wollte, 1925), Son mari (1927), La Femme adultère und L’homme de joie (1929) entstanden.

Rezeption in Österreich

Seine Rezeption in Österreich verdankt Géraldy in erster Linie Berta Zuckerkandl und dem Verlag Paul Zsolnay. Der Zsolnay-Verlag hat zwei Lyrik-Bände von Géraldy herausgebracht: Du und Ich (Toi et moi) 1927 in der Übersetzung von Clara Katharina Pollaczek (2. Auflage 1948) und So ist die Liebe (L’Amour) 1930, übersetzt von Berta Zuckerkandl, sowie unter dem Titel Helene 1924 die Erzählung Le Prélude (1923), übersetzt von Raol Aurie Heimer (Raoul Auernheimer), und mehrere Theaterstücke (eine 1928 erschienene zweibändige Ausgabe Theater: Dramen enthält Liebe (Aimée) und Robert und Marianne, bzw. Hochzeitstage und Wenn sie groß geworden), von denen viele auch in Wien aufgeführt wurden. Ausser Hochzeitstage, übersetzt von Alexander Castell, stammen die meisten Übersetzungen von Berta Zuckerkandl.

Hochzeitstage erlebte am 24. September 1921 am Burgtheater in der Inszenierung von Georg Reimers[3] (1860–1936) seine deutsche Erstaufführung. In der Neuen Freien Presse vom 25. September bezeichnet « W. » (d.i. Hugo Wittmann) das Stück als eine Studie über das Familienleben in dramatischer Form mit einem « novellistischen Zug » und ortet Reminiszenzen an Wildgans und an Ibsens John Gabriel Borkman; er unterstreicht die Beobachtungsgabe und den Wirklichkeitssinn des Autors, der einen sicheren Blick für die geringsten Kleinigkeiten des gesellschaflichen Lebens habe, « une grand tranche de la vie » [sic!] ohne Derbheiten des Naturalismus auf die Bühne bringe. Das Stück entspreche allerdings nicht den Erwartungen, die der Titel suggeriert, und biete « statt Frohsinn und Lebenslust » die Darstellung eines schwierigen Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Ein geringer Teil des Publikums « von den oberen Rängen und aus dem Stehparterre » soll während des dritten und vierten Akts lautstark seinen Unmut geäussert haben; dieser scheint allerdings mehr der als « freizügig » empfundenen Inszenierung gegolten zu haben als dem Stück selbst, das als « liebenswürdig » qualifizert wird.

Zur Heimstätte von Géraldy in Wien wird danach das von Max Reinhardt (1873–1943) geleitete Theater in der Josefstadt[4]: Aimée hat dort am 8. Mai 1924 Première, Robert und Marianne am 9. März 1928, Liebling (L’homme de joie) am 25. März 1931, alle drei in der Regie von Paul Kalbeck[5] (1884–1949 ). Die Wiener Zeitungen berichten ausführlich über diese Inszenierungen, das Presseecho ist weitgehend wohlwollend. Géraldy wird qualitätsvolles Unterhaltungstheater bescheinigt, in manchen Besprechungen werden Vergleiche mit Schnitzler (z.B. von Felix Salten in der Neuen Freien Presse vom 11. Mai 1924 über Aimée[6]) und Ibsen (in Saltens Besprechung von Robert und Marianne in der Neuen Freien Presse vom 28. März 1928[7]) angestellt.

Zum « Wiener Kreis » Géraldys zählen neben Zuckerkandl auch Raoul Auernheimer, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler (dessen Tagebuch zahlreiche Einträge zu Géraldy aufweist) und Jakob Wassermann[8] (am 2. März 1924 veranstaltet der PEN-Club einen Abend zu Ehren Géraldys[9]), am 7. März hält er eine Lesung im Salon von Hedwig Heller[10]), der Gattin des Kunsthändlers und Verlegers Hugo Heller[11].

Géraldys Vermittlertätigkeit für österreichische Schriftsteller in Frankreich hat hingegen weniger Spuren hinterlassen: Sein Versuch, einige von Schnitzlers Einaktern (die Rede war von Die Grosse Szene und Der grüne Kakadu) 1924 ins Repertoire der Comédie Française zu bringen, schlug fehl; dafür dürfte Schnitzler seine Kontakte zum Verlag Stock zum Teil Géraldy zu verdanken haben, der zu dem bei Stock 1932 erschienenem Novellenband L’Appel des ténèbres (Flucht in die Finsternis, 1931) das Vorwort beigesteuert hat[12]; von Hofmannsthal besorgt Géraldy – allerdings erst 1955 – eine Übersetzung, bzw. Adaptierung der Komödie Der Schwierige (1921) unter dem Titel « L’Irrésolu » in der revue Les Œuvres libres (Nr. 341 = n.s. Nr. 115, Dezember 1955).

Quellen und externe Links

Bibliografie

  • Perfect, David R. : Un chant d’amour : le théâtre de Paul Géraldy, Diss.: Univ. Lille 3, 1972.
  • Zieger, Karl: Arthur Schnitzler et la France 1894-1938. Enquête sur une réception. Villeneuve d’Ascq: Presses universitaires du Septentrion 2012.

Autor

Karl Zieger

Onlinestellung: 09/12/2024