Voltaire

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Mit zahlreichen Aufführungen seiner Tragödien und Komödien (und den zugehörigen Textausgaben) war Voltaire im behandelten Zeitraum einer der im Repertoire der beiden Wiener Bühnen führenden Autoren. Seine philosophische Prosa stieß dagegen auf Ablehnung und zahlreiche Verbote durch die Zensur. Das Josephinische Jahrzehnt bedeutete eine Phase noch einmal verstärkter Zustimmung, die nun auch verbunden mit Publikationen seiner Prosa und Versepen war. Die auf die Große Revolution folgende Restauration beendete die österreichische Voltaire-Rezeption abrupt und dauerhaft.

Rezeption in Österreich

Unter den prominenten Lesern Voltaires in Österreich sind Prinz Eugen, der unter anderem das Trauerspiel Œdipe und die Henriade las, der dezidiert frankophile Staatskanzler Kaunitz[1], der sich für den Traité sur la tolérance begeisterte, sowie Gottfried van Swieten[2] hervorzuheben, der Kaunitz aus Berlin mit ‚philosophischer‘ Lektüre versorgte. Wie zuvor in Frankreich und Preußen suchte Voltaire auch in Österreich nach persönlichen Kontakten zu den Mächtigen, scheiterte dabei aber.

Die große Mehrheit des Lesepublikums konnte Voltaires Werke nur selektiv rezipieren, da sie intensiv von Zensur betroffen waren. In den drei Jahrzehnten zwischen 1751 und 1780 war Voltaire der mit großem Abstand meistverbotene Autor, auf den österreichischen Verbotslisten finden sich nicht weniger als 92 Einträge von Titeln aus seiner Feder[3]. Verboten waren etwa das Dictionnaire philosophique portatif (1764), in dem der Verfasser für soziale Gleichstellung aller Stände eintrat und auf satirisch-burleske Weise die katholischen Dogmen bekämpfte; ferner der Commentaire sur le livre des délits et des peines (1767), das ist Cesare Beccarias[4] Abhandlung Dei delitti et delle pene, die für eine Säkularisierung der Gerichtsbarkeit nach den Prinzipien der Vernunft plädierte. Auch fiktionale Texte waren nicht gegen Verbote gefeit, so die Henriade, die die Verbrechen im Zusammenhang mit der Verfolgung der Protestanten geißelte, oder die pornographische Pucelle d’Orléans. An Candide wiederum schienen neben dem Antiklerikalismus die Zweifel an der göttlichen Vorsehung anstößig[5].

Im Gegensatz zu Prosa und Versepik waren so gut wie alle Theaterstücke Voltaires auf den beiden Wiener Hofbühnen sowohl in französischer Sprache (Burgtheater, ab 1752) wie auch in deutscher Übersetzung (Theater am Kärntnertor, ab 1748) vertreten. Eine wichtige Triebfeder für die Aufführung französischer Stücke in der Originalsprache war der schon erwähnte Staatskanzler Kaunitz. 1752 gelang es ihm, mit Hilfe eines kaiserlichen Dekrets deutschsprachige Dramen zugunsten von italienischen Opern und französischen Stücken vom Burgtheater zu verdrängen. Die deutschen Übersetzungen blieben dem Theater am Kärntnertor mit einem stärker bürgerlich geprägten Publikum vorbehalten. Erst ab 1773 – und vollends ab 1776 in dem von Joseph II[6]. begründeten k.k. Hof- und Nationaltheater – wurde auch auf der ersten Hofbühne Voltaire auf Deutsch aufgeführt. Im Repertoire der beiden Theater finden sich die Tragödien Alzire, Sémiramis, Hérode et Mariamne, Le duc de Foix, Mahomet, Zaïre, Mérope, Œdipe, Brutus, Tancrède, L’orphélin de la Chine, Zulime, Adélaïde du Guesclin und Olimpie, aber auch Komödien wie L’enfant prodigue, Nanine, L’indiscret, L’échange, L’ecueil du sage, und L’écossaise[7].

Der Verlag Van Ghelen druckte bevorzugt die Originaltexte der Stücke, die deutschen Übersetzungen erschienen mehrheitlich in der Krauss’schen Buchhandlung, die intensive Kontakte zu dem Voltaire-Verleger Cramer in Genf unterhielt. Auffällig ist, dass selbst unter den strengen moralischen Ansprüchen, die das Theater unter Maria Theresia[8] zu erfüllen hatte, kaum zensorische Eingriffe nötig erschienen. J.H. Kerens[9], der Direktor der Wiener Eliteschule Theresianum[10], erwähnte in einer Liste empfehlenswerter französischer Dramen auch Voltaires Stücke und hob dabei eigens ihre makellose Sittlichkeit hervor.

Ab etwa 1770 war in Wien das von Joseph von Sonnenfels propagierte Konzept des Theaters als Schule der Sitten vorherrschend, das bürgerliche Werte transportieren und damit auch dem Staat zugute kommen sollte. Die bevorzugte Gattung bildeten dementsprechend bürgerliche Rührstücke, die zunehmend die höfisch-aristokratisch ausgerichteten Tragödien verdrängten. Bis zu diesem Umschwung unterstützte Sonnenfels in seinen kritischen Schriften das klassische französische Drama eines Molière, Destouches[11], Corneille und eben Voltaire, ehe er verstärkt für die sentimentalen Rührstücke eintrat. Voltaire kam zugute, dass er Stücke für beide Genres bereithielt, er galt insbesondere als Garant für die emotionale Einwirkung auf das Publikum.

Die Übersetzer der Texte für die Wiener Voltaire-Ausgaben und -Aufführungen waren überwiegend deutscher Herkunft. 1759 lieferte Johann Joachim Schwabe[12], ein Autor, Kritiker und Übersetzer aus dem Umfeld Gottscheds, eine deutsche Version der Zaïre. Sie ist in hohem spätbrock-klassizistischem Stil gehalten. Auffällig sind in der folgenden Kostprobe die gesuchten Wortformen (‚belobteste‘ als Entsprechung zu ‚vertueuse‘, ‚Schluß‘ statt ‚Entschluss‘) und die schiere Unmenge von Elisionen (‚Zayr‘, zweimal ‚Eh‘, ‚Lieb‘, ‚ohn‘, ‚Umschweif‘) und eingefügten ‚e‘-s (‚vermeynet‘, ‚vereinet‘)‚ die der Wahrung des jambischen Rhythmus in den Alexandrinern dienen:

Belobteste Zayr, ich habe fest vermeynet,
Eh unser Herz und Glück sich durch die Eh vereinet,
Daß ich, als Muselmann, mit dir von meinem Schluß,
Von dir, von meiner Lieb, ohn Umschweif reden muß[13].

Man kann Schwabe zugute halten, dass er Voltaire’s Ausgangstext beinahe Wort für Wort folgt:

Vertueuse Zayre, avant que l’hyménée,
Joigne à jamais nos cœurs & notre déstinée,
J’ai cru, sur mes projets, sur vous, sur mon amour,
Devoir en Musulman vous parler sans détour[14].

Von einer natürlichen Bühnensprache war dieser äußerst gestelzte Text meilenweit entfernt. Im Gegensatz dazu lieferte Johann Joachim Eschenburg[15], bekannt durch seine Überarbeitung und Ergänzung von Wielands Shakespeare-Übersetzung, 1776 eine Übersetzung der Zaïre in ungereimten Blankversen, die einen Kompromiss zwischen semantisch exakter Wort für Wort-Wiedergabe und unprätentiösem deutschen Stil versucht.

Eh unsre Herzen, theuerste Zayre,
Und unser Glück ein ew’ges Band verknüpft,
Muß ich als Muselman von meinem Vorsatz,
Von dir, von meiner Liebe, mit dir reden[16].

Die beiden Extreme, der gestelzte Stil Schwabes und die vergleichsweise natürliche und moderne Sprache Eschenburgs, messen die Bandbreite der in Wien gespielten Voltaire-Übersetzungen aus.

Bis 1780 waren außer den Theaterstücken keine Werke Voltaires in Wien verlegt worden. Mit der Lockerung der Zensur durch Joseph II. änderte sich das, bei gewagteren Texten mussten die Verlage allerdings einen nicht-österreichischen Verlagsort fingieren. Voltaires Name wurde auch auf Titelblättern benützt, um Aufmerksamkeit auf so manches inferiore Produkt eines lokalen Autors zu lenken, so z. B. im Fall von Joseph Richter[17]’s Neue Legende der Heiligen. Nach einem hinterlassenen Manuscript des Voltairs (1784). Besonders aktiv war in diesem Bereich der Wiener Verlag Mösle[18]. Das ehrgeizigste Verlagsprojekt dieser Jahre war zweifellos die Henriade-Übersetzung des Verlegers Franz Anton Schrämbl, die allerdings nur geringes Echo bei Kritik und Lesepublikum fand.

Wie bereits die Widmung klarstellt, ist die Hexameter-Übersetzung über den gerechten und toleranten französischen Regenten Henri IV eine Huldigung für Joseph II.: Da der österreichische Kaiser über jedes Lob erhaben ist, sieht sich der Dichter gezwungen, in die Geschichte zurückzugreifen. Schrämbl schreckt auch nicht vor den krudesten Attacken auf den Papst und den Klerus zurück. Die Charakterisierung des Dominikaners Jacques Clément[19], des Mörders von Henri III, erinnert an den Stereotyp des dämonischen Mönchs in Gothic novels. Damit nicht genug, fügt Schrämbl auch noch eine Fußnote hinzu, in der er die geistlichen Orden insgesamt zur Gefahr für einen vernunftbasierten Staat erklärt[20].

Auch die Wiener Journalisten nützten die neue erweiterte Pressfreiheit. So war Voltaire ein regelmäßiger Gast in den Artikeln des Journal de Vienne, dédié aux amateurs de la littérature (1784–1785), insbesondere widmete ihm die Zeitschrift einen „Discours en vers à la louange M. de Voltaire[21]“. Die Realzeitung der Wissenschaften, Künste und der Commerzien (1770–1786), in deren Herausgebergremium sich die prominentesten Vertreter der Wiener Aufklärung wie Christian Gottlob Klemm[22], Johann Rautenstrauch[23], Joseph von Sonnenfels oder Alois Blumauer[24] versammelten, publizierte eine Reihe von Voltaires Erzählungen und Dialogen. Schließlich sei noch erwähnt, dass der Verlag Wallishausser 1790 eine Ausgabe von „Voltaires sämtliche[n] Schriften“ begann. Sie kam jedoch über vier Bände nicht hinaus. Die Periode des für die Voltaire-Rezeption günstigen Josephinischen ‚Tauwetters‘ (Leslie Bodi) war definitiv vorüber.

Quellen und externe Links

Bibliografie

Werke

  • Bachleitner, Norbert: Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2017.
  • Bachleitner, Norbert: An On/Off Affair: Voltaire in Eighteenth-Century Vienna. In: Taking Stock – Twenty-Five Years of Comparative Literary Research. Hg. v. N.B., Achim Hölter, und John A. McCarthy. Leiden, Boston: Brill Rodopi, S. 48–89.
  • Bodi, Leslie: Tauwetter in Wien zur Prosa der österreichischen Aufklärung : 1781-1795, Wien etc., Böhlau, 1995.

Fachliteratur

  • Voltaire: Zayre. Tragédie. En cinq actes. Vienne en Autriche, chez Jean Pierre van Ghelen 1752.
  • Voltaire: Zayre. Ein Trauerspiel Des Herrn von Voltaire. Aus dem Französischen übersetzt von Herrn Johann Joachim Schwaben in Leipzig. Wien: Kraus 1759.
  • Voltaire: Zayre. Ein Trauerspiel des Herrn von Voltaire in fünf Aufzügen. Aufgeführt im k.k. Nationaltheater. Neue Uebersetzung in Jamben [von Eschenburg]. Wien: zu finden beym Logenmeister 1777.
  • Voltaire: Heinrich der Vierte. Aus dem Französischen des Herrn von Voltär. 2 Theile. Wien: Kurzbeck 1782/83.

Autor

Norbert Bachleitner

Onlinestellung: 16/09/2024