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Joseph von Sonnenfels (*1733 in Mikulov, †25. April 1817 in Wien) gilt als zentrale Figur der österreichischen Aufklärung: Sowohl in seiner Staats- und Gesellschaftstheorie als auch im Rahmen der von ihm angestrebten Theaterreform nahm er Bezug auf in Frankreich geprägte Ideen bzw. auf vorbildliche Werke französischer Dramatiker.
Joseph von Sonnenfels (*1733 in Mikulov, † 25. April 1817 in Wien) gilt als zentrale Figur der österreichischen Aufklärung: Sowohl in seiner Staats- und Gesellschaftstheorie als auch im Rahmen der von ihm angestrebten Theaterreform nahm er Bezug auf in Frankreich geprägte Ideen bzw. auf vorbildliche Werke französischer Dramatiker.


==Biografie==
==Biografie==

Version vom 21. Juni 2024, 08:02 Uhr

Joseph von Sonnenfels © ÖNB

Joseph von Sonnenfels (*1733 in Mikulov, † 25. April 1817 in Wien) gilt als zentrale Figur der österreichischen Aufklärung: Sowohl in seiner Staats- und Gesellschaftstheorie als auch im Rahmen der von ihm angestrebten Theaterreform nahm er Bezug auf in Frankreich geprägte Ideen bzw. auf vorbildliche Werke französischer Dramatiker.

Biografie

Sonnenfels studierte an der Universität Wien Jus, 1763 wurde er zum Professor für Polizei- und Kameralwissenschaft ernannt. Aus dieser Funktion heraus legte er grundlegende Publikationen zu Fragen des Rechts und der staatlichen Administration vor, von denen die Grundsätze der Policey, Handlung und Finanz (zuerst 1765) hervorzuheben sind. 1773 wurde er Mitglied der niederösterreichischen Regierung, weitere Funktionen im Bereich Politik und Kultur folgten. Als Vorstand der „Deutschen Gesellschaft“ trat er im Geist Gottscheds für die Pflege der hochdeutschen Sprache in Österreich ein, deren Einführung war auch Teil der von ihm verfochtenen Theaterreform. Ferner trug Sonnenfels maßgeblich zur Etablierung der Theaterzensur bei, 1770 übte er kurz das Amt eines Theaterzensors aus. Von seinen literarisch-publizistischen Aktivitäten sind die moralische Wochenschrift Der Mann ohne Vorurtheil (1765–1767) und die Briefe über die wienerische Schaubühne (1768) hervorzuheben[1].

Sonnenfels’ Gesellschaftstheorie steht im Zeichen kritischer Auseinandersetzung mit Rousseau und Montesquieu. Zum Unterschied von Rousseau, der den Menschen als ursprünglich isoliertes Individuum definiert, das erst durch den Gesellschaftsvertrag zu einem sozialen Wesen wird, geht Sonnenfels von einer dem Menschen immer schon inhärenten Vergesellschaftung aus. Mit Montesquieu teilt Sonnenfels die Forderung nach einer Verfassung, er geht aber nicht so weit, Demokratie und Gewaltenteilung vorzusehen[2]. Sonnenfels propagiert einen aufgeklärten Absolutismus, der nach vom Herrscher erlassenen Gesetzen funktioniert. Das Bürgertum und die Bauernschaft sollten wegen ihrer Verdienste um die allgemeine Wohlfahrt mehr Gewicht im Staat erhalten, der Adel im Sinne der Aufklärung erzogen werden und als Vorbild wirken. Die Französische Revolution lehnte Sonnenfels ab, er arbeitete jedoch ihre Ursachen heraus, indem er die im Ancien régime eingerissenen Missstände benannte: außenpolitische Fehler wie die kostspieligen Kriege gegen Österreich, die die Staatsfinanzen ruinierten; Sittenverfall, abzulesen an der Mätressenwirtschaft; Willkürherrschaft und Übergriffe der Minister und der Polizei; Despotismus der Aristokratie und der Geistlichkeit[3].

Über die Kameralistik stieß Sonnenfels auf das Theater, das er zu einer sozialpädagogischen Anstalt, die zu vernunftgemäßem, moralisch korrektem und zivilisiertem Verhalten erzog, umgestalten wollte. Das diesen Zielen angepasste ‚regelmäßige‘ Drama sollte realitätsnahe Handlungen und Charaktere auf die Bühne stellen, die sich der deutschen Hochsprache bedienten. Mit der Forderung nach Realitätsnähe wurden Zauber, Hexen und andere Fabelwesen von der Bühne verbannt. Die Tugend musste belohnt, das Laster bestraft werden, ‚bürgerliche‘ Tugenden und Werte mussten sich am Ende durchsetzen. Mit den Sitten sollte auch der Geschmack des Publikums geläutert werden. Die Nähe zum bürgerlichen Alltag sollte die Identifikation des Publikums mit den Bühnenfiguren gewährleisten und emotionale Wirkungen (Rührung, Mitgefühl, Abscheu ...) auslösen. Mit diesen Regeln grenzte Sonnenfels sein Theaterkonzept vom Volkstheater, dessen Derbheiten und pöbelhaften Extempores, aber auch vom aristokratisch-höfischen Theaterbetrieb in französischer Sprache ab. Die Einhaltung der Regeln sollte von den Theaterimpresarios und von der zu begründenden Theaterzensur überwacht werden. Das Engagement für ein regelmäßiges Drama trug Sonnenfels in Berlin übrigens den Beinamen eines „deutschen Mirabeau“ ein[4].

Da die deutschsprachige Dramatik der Zeit kaum brauchbare Stücke bereitstellte, regte Sonnenfels an, sich in der englischen und französischen Literatur umzusehen. Es wurde sogar eine Prämie von 50 Gulden für Übersetzungen geeigneter Dramen ausgelobt[5]. Um die Wirkung eines Stücks auf einheimischen Bühnen zu intensivieren, unterstützte Sonnenfels das einbürgernde Übersetzen.

Racine und noch mehr Corneille behalten in Sonnenfels’ Dramentheorie ihre angestammte Autorität. Da ihre Tragödien infolge der aufgehobenen Ständeklausel jedoch an Relevanz verloren hatten, rückte das ‚bürgerliche‘ Drama der Gegenwart in den Mittelpunkt. Während die Schicksale von Herrschern und ihrer Umgebung nur die gesellschaftliche Elite betrafen, würde die große Mehrheit des Publikums mit den Freuden und Leiden einfacher Bürgerlicher mitfiebern. In diesem Sinn erwähnt Sonnenfels als Referenzen neben Destouches immer wieder Denis Diderots Le père de famille sowie dessen „Discours sur la poésie dramatique“. Im Mann ohne Vorurtheil bildet Molière (Les précieuses ridicules, Tartuffe) das Beispiel für wirkungsvolle Satire, die Laster und Unsitten anprangert, aber auch der Zeitgenosse Voltaire gilt als Muster der gelungenen Verbindung von prodesse und delectare[6].

Die Briefe über die wienerische Schaubühne (1768) sind das Zentrum von Sonnenfels’ Auseinandersetzung mit französischer Dramatik. Ausgangspunkt für die dort erörterten Stücke sind Aufführungen auf den beiden Wiener Hofbühnen, also dem „Théâtre français près de la cour“ und dem Kärntnertortheater. Der in den Briefen am häufigsten diskutierte französische Autor ist Voltaire. Ein Beispiel: Adélaïde du Guesclin stellt zwei verfeindete Brüder zur Zeit des Hundertjährigen Kriegs auf die Bühne, nämlich den Duc de Vendôme, der es mit den Engländern hält und Adélaïde zur Ehe zu zwingen versucht, und den von Adélaïde geliebten Duc de Nemours. Sonnenfels erkennt Redundanzen und Fehler in der Handlungsführung, lobt aber überschwänglich die „vortrefflliche[n] Gesinnungen[7]“ der tugendhaften Figuren (Vendômes Freund de Coucy und Adélaïde). Da so gut wie alle Stücke Voltaires bereits an den beiden Hofbühnen aufgeführt worden waren[8], konnte Sonnenfels im Vorbeigehen auf eine Reihe weiterer Dramen Voltaires (unter anderem auf Sémiramis, Le Café ou l’Écossaise, Nanine, Mérope, Zaïre ...) verweisen.

Auch Autoren der zweiten Reihe sind im Wiener Repertoire vertreten und dienen als nützliche Vorbilder für Sonnenfels’ dramaturgisches Konzept. Jean François Regnards Komödie Le joueur besticht durch die Warnung vor der Spielsucht und ihren fatalen Folgen Sonnenfels 1988, S. 157–160. Hingegen ist Jean Michel Sédaines Le philosophe sans le savoir das Muster eines bürgerlichen Rührstücks. Ein Aristokrat ergreift darin aus Not den Kaufmannsberuf und belehrt seinen Sohn, dass dadurch – entgegen der verbreiteten Auffassung – die Familienehre nicht verletzt wird, sondern im Gegenteil die Ausübung einer dem Staat nützlichen Tätigkeit äußerst ehrenvoll ist. Innere Werte kennen keine Standesgrenzen, die Verbindung von Adel und bürgerlichem Habitus, das „Gemälde eines rechtschaffenen, edeldenkenden Hauses“ und der herzliche Umgang, der dort herrscht – „das Vorrecht des glücklichen Mittelstandes[9]“ –, begeistern den Kritiker. Nicht nur soziale Grenzgänger wie Sédaines Held, sondern auch Herrscher eignen sich, allgemeinmenschliche Werte und Tugenden im Sinn des aufgeklärten Absolutismus zu repräsentieren. So äußert sich Sonnenfels sehr positiv über Charles Collés Historiendrama La partie de chasse de Henri IV, weil der König nicht nur als Souverän und Kriegsheld, sondern auch als Ehemann, Vater und Freund seines Finanzministers, des Duc de Sully, in Erscheinung tritt[10].

Ganz selten befindet Sonnenfels, dass ein Stück in puncto Sittenschule über das Ziel hinausschießt. So lobt er an Charles-Simon Favarts Singspiel Les moissonneurs in der Übersetzung von Joseph Laudes zwar die philanthropische Einstellung des Gutsherren Candor gegen seine Arbeitskräfte, stößt sich aber an dem Überschuss an Morallehre, denn „die Gesinnungen sind immer weise Sprüche, in dem Tone der Didaktik – Sobald Candor eine Gelegenheit sieht, eine Maxime auszukramen, sogleich predigt er[11].“

Nach nur sechsmonatiger Tätigkeit als Theaterzensor wurde Sonnenfels im Oktober 1770 dieses Postens enthoben – möglicher Anlass war die Zulassung von Christian Felix Weißes Komödie Die Matrone von Ephesus, oder sind alle Witwen so?, die mit Maria-Theresia in Verbindung gebracht werden konnte. Vor allem aber hatte sich Sonnenfels in der Wiener Theaterszene Feinde gemacht, auch die Obrigkeit war mehr an einem einträglichen Theaterbetrieb mit zufriedenem Publikum interessiert als an trockenem ‚regelmäßigem‘ Drama. Vor diesem Hintergrund wird erklärlich, dass Sonnenfels gleichzeitig mit der Entlassung als Zensor jede weitere Einmischung in Theaterfragen untersagt wurde. Daraufhin legte er dieses Gebiet seines Engagements ad acta.

Quellen und externe Links

  1. vgl. Karstens 2011
  2. vgl. Reinalter 1988, S. 140–142
  3. Reinalter 1988, S. 146–152
  4. Haider-Pregler 1988, S. 203
  5. Haider-Pregler 1988, S. 115, 234
  6. Sonnenfels 1766, S. 667f., 670
  7. Sonnenfels 1988, S. 132
  8. vgl. Bachleitner 2000, S. 76–80
  9. ebd., S. 151
  10. ebd., S. 218–231
  11. ebd., S. 214

Bibliografie

  • Bachleitner, Norbert: „An On/Off Affair. Voltaire in Eighteenth-Century Vienna“. In: Taking Stock – Twenty-Five Years of Comparative Literary Research. Ed. by N. B., Achim Hölter, and John McCarthy. Leiden, Boston: Brill – Rodopi 2020, S. 48–89.
  • Haider-Pregler, Hilde: „Die Schaubühne als „Sittenschule“ der Nation. Joseph von Sonnenfels und das Theater“. In: Joseph von Sonnenfels. Hg. von Helmut Reinalter. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1988, S. 191–244.
  • Karstens, Simon: Lehrer – Schriftsteller – Staatsreformer. Die Karriere des Joseph von Sonnenfels (1733–1817). Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2011.
  • Reinalter, Helmut: „Joseph von Sonnenfels als Gesellschaftstheoretiker“. In: Joseph von Sonnenfels. Hg. von H. R. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1988, S. 139–156.
  • Sonnenfels, Joseph von: Der Mann ohne Vorurtheil. Bd. 2. Wien: Trattner 1766.
  • Sonnenfels, Joseph von: Briefe über die wienerische Schaubühne. Hg. v. Hilde Haider-Pregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988 (zuerst 1768).

Autor

Norbert Bachleitner

Onlinestellung: 05/06/2024