Eugène Susini
Eugène Susini (* 1900 in Renno bei Ajaccio, † 1982 in Paris) leitete das Institut français de Vienne von März bis August 1939 und von 1947 bis 1958. Er gehörte zu den führenden Verantwortlichen der französischen Kulturpolitik in Österreich in den Nachkriegsjahren.
Biografie
Eugène Susini stammte aus einer korsischen Offiziersfamilie und absolvierte seine Schulbildung am Pariser Lycée Louis-le-Grand. Er begann anschließend ein Universitätsstudium in Philosophie und Deutsch und wurde 1922 in die École Normale Supérieure aufgenommen, wo er mit Jahrgangskollegen wie dem Philosophen Vladimir Jankélévitch[1] (1903–1985) oder dem Germanisten Robert Minder[2] (1902–1980) studierte. Mit letzterem gründete er eine „Groupe d’information internationale“, der es darum ging, deutsche und französische Intellektuelle einander anzunähern, indem man sich gegenseitig zu Vorträgen einlud. Susini machte dadurch u.a. die Bekanntschaft Hugo von Hofmannsthals (1874–1929) und befreundete sich mit der Schnitzler-Übersetzerin Dominique Auclères (geboren als Suzanne Clauser 1898–1981). Nach einem kürzeren Studienaufenthalt in Bonn ging er 1925 als Lektor an die Universität Wien, wo er über den Naturphilosophen Josef Görres (1776–1848) forschte, und damit seine Kenntnisse über die deutsche Romantik vertiefte. Sein Interesse für diese Periode mündete des Weiteren in eine langjährige Forschung über den Wissenschaftler, Philosophen und Görres-Zeitgenossen Franz von Baader (1765–1841). 1926 erlangte Susini seine Agrégation in Paris, dann lebte er von 1928 bis 1939 durchgehend in Deutschland. Er war Stipendiat und später Professor am Institut français in Berlin, 1931/32 Lektor an der Universität Leipzig und später wieder am Berliner Institut français. Ab Dezember 1933 unterrichtete er französische Sprache und Landeskunde am Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, dessen Leiter Viktor Bruns er nahestand.[3]
Susini und Wien
In seinen Berliner Jahren reiste Susini öfter nach Wien, wo 1931 das erste Institut français de Vienne eröffnet wurde, aber auch nach Prag, wo sein Freund Jankélévitch von 1927 bis 1932 am dortigen Institut français unterrichtete. Susini erwarb also in den 1930er Jahren eine breite Kenntnis des kulturellen und literarischen Lebens in Berlin und Wien, und wurde Zeuge des Aufstiegs des Nationalsozialismus und des „Anschlusses“ Österreichs. Sein Interesse galt seit seiner Studienzeit an der ENS den deutsch-französischen Beziehungen, und diese behielt er im Auge, als er im März 1939 nach Wien an das Institut français berufen wurde, das von den Nationalsozialisten nach dem „Anschluss“ im März 1938 geschlossen worden war, nun aber wiedereröffnet werden sollte – als dem Berliner Institut français zugeordnete Einheit. Aus Susinis damaliger Perspektive war seine Aufgabe in Wien, die dortige französische Kulturarbeit weiterzuführen, was bedeutete, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren. Er „säuberte“ die Publikumsdatei des IFV, schloss die Einladung eines französischen Streichquartetts aus, dem ein jüdischer Künstler angehörte und betonte in einem internen Brief an seinen Vorgesetzten Henri Jourdan in Berlin, dass das Publikum seiner Kurse „strikt arisch“ sei.[4] Dennoch wurde das IFV und dessen Kursangebot von verschiedenen Seiten boykottiert, insbesondere vom Romanistikinstitut der Universität, das vollkommen regimekonform war. Der Ausbruch des Krieges im September 1939 führte zur Schließung des IFV, Susini kehrte nach Frankreich zurück, wurde einberufen und arbeitete einige Zeit als Dolmetscher bei der Waffenstillstandskommission in Wiesbaden, dann unterrichtete er bis Kriegsende in Lille als Dozent an der dortigen Universität. Wie Michel Cullin, ein Schüler Susinis, betonte, war Susini weder Kollaborateur noch aktiver Widerstandskämpfer,[5] aber als französischer Germanist quasi per definitionem in einer ambivalenten Position gegenüber Deutschland. Seine profunden Kenntnisse und seine in den 1930er Jahren geknüpften Kontakte prädestinierten Susini am Kriegsende in den Augen der Pariser Diplomaten und General Béthouarts, des Oberkommandierenden der französischen Besatzungstruppen, zum Verantwortlichen für die gesamte französische Kulturarbeit in Österreich.
Obwohl er als Germanist nicht unbedingt überzeugt von der Existenz einer typisch österreichischen Identität war, konnte er sich dennoch als politisch geschulter und erfahrener Vermittler zwischen den Kulturen mit den Hauptzielen der französischen Besatzung identifizieren: Es ging um die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreich in deutlicher Abgrenzung zu Deutschland, und um die Erneuerung des französischen Prestiges. Der besatzungspolitisch effiziente Verweis auf die Verwandtschaft Frankreichs und Österreichs als traditionelle Kulturnationen und Susinis persönliches Interesse für die Zeit des Barocks, in der das habsburgische Österreich eine kulturelle Blüte erlebt hatte, sowie seine Affinität zu konservativen, katholischen, österreichischen Intellektuellen bildeten die Grundlage, auf der Susini seine Kulturarbeit aufbaute.
Das Institut français de Vienne wurde im November 1947 eröffnet, als Standort hatten Susini, Béthouart und der französische Gesandte Louis de Monicault gemeinsam das prestigeträchtige Palais Lobkowitz gewählt, in dem im ausgehenden 19. Jahrhundert die französische Botschaft untergebracht gewesen war. Dass Susini vom Wiener Publikum als „Prince Eugène“ bezeichnet wurde, hatte nicht zuletzt mit dieser Lokalität zu tun. Ebenfalls 1947 erreichten Susini und de Monicault die Unterzeichnung eines bilateralen Kulturabkommens, das insofern Symbolwert hatte, als es das erste Abkommen überhaupt war, das Österreich nach 1945 mit einer der Besatzungsmächte unterzeichnete.[6] In Innsbruck, dem Zentrum der französischen Besatzungszone Tirol-Vorarlberg, hatten die Bemühungen Susinis um eine Institutionalisierung der französischen Kulturarbeit bereits ein Jahr früher Früchte getragen: Die von Susini selbst rekrutierten Germanisten Marcel Decombis[7] und Maurice Besset hatten schon im Juli 1946 ein Institut français d’Innsbruck eröffnet und an der Wiederaufnahme des Lehrbetriebes der dortigen Universität mitgearbeitet. Maurice Besset war, wie Susini, Abgänger der ENS und einem katholischen Pariser Milieu entsprungen; er hatte Susinis volles Vertrauen. Für Wien wählte Susini einen weiteren Normalien, Jean Clément, der in den 30er Jahren am Warschauer Institut français gearbeitet hatte, sowie André Espiau de La Maëstre, ein Theologe und Spezialist für die katholischen französischen Schriftsteller Claudel, Péguy und Bernanos. Weitere Normaliens und Kunsthistoriker aus Susinis Netzwerk ergänzten bald das Team des Institut français de Vienne, das sich auf Sprachvermittlung und eine ausgedehnte Vortragstätigkeit konzentrierte, und diese Tätigkeit auch auf die Wiener Universität ausdehnte. Susini selbst unterrichtete interessanterweise nicht an der Romanistik, sondern am Germanistikinstitut. Er hielt die Wiener Germanisten für inkompetent und zu konservativ, bot selbst Kurse zu Rilke, Hofmannsthal und Kafka in deutscher Sprache an und soll als erster Lehrender in Wien über Bert Brecht[8] gesprochen haben. Auch was die Gastvortragenden am IFV betraf, kam Susini sein weitreichendes Netzwerk zugute: Zwischen 1947 und 1950 kamen etwa Arman Jacob und Roger Bauer, beide bekannte Germanisten, der katholische Schriftsteller und ebenfalls Germanist Robert d’Harcourt,[9] der Philosoph Raymond Aron,[10] der christliche Schriftsteller Pierre Emmanuel,[11] Susinis Studienfreund Vladimir Jankélévitch, Emmanuel Mounier,[12] Gründer der Zeitschrift Esprit, verschiedene Geistliche, sowie der Kunsthistoriker Bernard Dorival[13] und der Architekt Le Corbusier ans IFV, um nur einige Namen zu nennen.
Um ein breiteres, bzw. anderes Publikum ins Palais Lobkowitz zu bringen, veranstaltete Susini zahlreiche Konzerte mit Musikern von Weltrang. Ein Wiener Publikum mit hochwertiger Musik anzusprechen, war einfach, noch dazu waren in diesem Bereich keine Französischkenntnisse erforderlich. Solisten wie Ginette Neveu, Alfred Cortot, Olivier Messiaen oder Jacques Thibauld kamen mehrmals, Formationen wie das Quatuor Pascal oder das Trio Pasquier ebenso. Außerdem organisierte Susini in Zusammenarbeit mit lokalen Kultureinrichtungen Gastspiele der Comédie Française, der Balletttruppe Roland Petits und Jean Vilars TNP und bedeutende Kunstausstellungen, wie einer Schau von 250 Werken des „Salon d’Automne“ in Jahre 1946, oder „Klassiker der modernen französischen Malerei“ 1947.[14] Mit einem so hochwertigen Angebot an Vorträgen, Konzerten, Theateraufführungen und Ausstellungen konnten Susini und sein Team dem doppelten Anspruch des Prestigegewinns für Frankreich und des Beitragens zum Aufbau einer neuen – entnazifizierten – Identität für Österreich gerecht werden. Als die Besatzung 1955 endete, wurde das Weiterbestehen der französischen Kulturinstitute in Wien und Innsbruck weder französischer- noch österreichischerseits in Frage gestellt. Die langfristige Ausrichtung der französischen Kulturarbeit war durch das Kulturabkommen von 1947 gesichert worden und wurde durch ein ständig wachsendes Kurspublikum an beiden Instituten bestätigt. Nicht der Abzug der Besatzungstruppen 1955, sondern die – für beide unfreiwillige – Abberufung Eugène Susinis aus Wien und Maurice Bessets aus Innsbruck im Jahre 1958 stellte einen Bruch in der französischen Kulturarbeit in Österreich dar.
Die beiden Institute, ihre inhaltliche Schwerpunktsetzung und ihr vielfältiges Angebot waren so stark von den Persönlichkeiten ihrer Leiter bestimmt, dass ihr Weggehen in der Wahrnehmung des österreichischen Publikums das Ende einer Ära bedeutete. Susini wurde als Germanistikprofessor an die Sorbonne berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1970 unterrichtete und zahlreiche Studenten nachhaltig prägte, wie Michel Cullin unterstreicht. Seine Zeit in Österreich bezeichnete er letzterem gegenüber als „die schönsten Jahre meines Lebens“[15].
Quellen und externe Links
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/119523051
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/118734024
- ↑ Bosquelle 1993, S. 233 und Bosquelle 1991, S. 245
- ↑ Bosquelle 1993, S. 257, 265 und 266
- ↑ Cullin 1999, S. 44–45
- ↑ Porpaczy, 2001, S. 99–101
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/1069405159
- ↑ https://www.deutsche-biographie.de/dbo018010.html#dbocontent
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/101755589
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/118504371
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/118530143
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/118801112
- ↑ https://explore.gnd.network/gnd/129938734
- ↑ Porpaczy, 2001, S. 328–237
- ↑ Cullin 1999, S. 49
Bibliografie
- Bosquelle, Dominique: L’Institut Français de Vienne entre Anschluss et déclaration de guerre. Une correspondance. In: Cahiers d’études germaniques 25 (1993), S. 229–281.
- Bosquelle, Dominique: L’Institut Français de Berlin dans les années trente. In: Cahiers d’études germaniques 21 (1991), S. 217–250.
- Cullin, Michel: Österreich – aber welches? Eugène Susini und sein Österreichbild. In: Thomas Angerer, Jacques Le Rider (Hrsg.): „Ein Frühling, dem kein Sommer folgte“? Französisch-Österreichische Kulturtransfers seit 1945. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999, S. 41–50.
- Porpaczy, Barbara: Frankreich-Österreich 1945–1960. Kulturpolitik und Identität. Innsbruck: Studienverlag 2002 (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Band 18).
Autor
Barbara Porpaczy
Onlinestellung: 11/06/2025