Astérix Übersetzungen in österreichische Dialekte
Die Bildergeschichten von René Goscinny und Albert Uderzo haben wesentlich dazu beigetragen, die Vorbehalte konservativer Repräsentant*innen der österreichischen Bildungslandschaft gegenüber Comics aufzubrechen, weil die französische Serie insbesondere aufgrund ihrer Mehrfachadressierung als intellektuell wesentlich anspruchsvoller galt als Konkurrenzprodukte vornehmlich US-amerikanischer Provenienz. Im Gegensatz zu Dialektübersetzungen in anderen Kulturräumen sind die österreichischen Versionen weniger ein Ausdruck sprachpolitischer Initiativen und Forderungen als Ventile einer Skepsis gegenüber einer immer mehr um sich greifenden Globalisierung, die als Bedrohung regionaler Identitäten wahrgenommen wird, wobei der seit dem Ende der Wirtschaftswunderzeit wachsende Dialektgebrauch in populären Genres der deutschsprachigen Literatur die Rezeption von Übersetzungen in Mundarten wesentlich fördert.
In einer Studie zur nationalen und internationalen Astérix-Rezeption wird besonderes Augenmerk auf die zunächst in der Frankophonie einsetzende Welle von Übersetzungen in Regionalsprachen und Non-Standard-Varietäten gelegt, die alsbald europaweit eine Fortsetzung findet[1]. Im deutschsprachigen Raum manifestiert sich dieser Trend besonders stark dank der vom Stuttgarter Ehapa-Verlag geförderten und gesteuerten Produktion von Asterix-Dialektübersetzungen (Name im Deutschen ohne Akzent).
Asterix im Dialekt hat gesamtdeutsch betrachtet um die Jahrtausendwende Hochkonjunktur. Mehr als die Hälfte der etwa einhundert bisher publizierten Übersetzungen in verschiedenste Mundarten ist zwischen 1995 und 2004 herausgekommen. Der Großteil der österreichischen Übersetzungen ist in dem kurzen Zeitraum zwischen 1997 und 2000 erschienen; erst seit 2018 gibt es weitere Übersetzungen, wie die folgende Übersicht zeigt.
Frz. Original | Standarddt. Übersetzung | Titel der Dialektfassung | Übersetzer | Varietät | Jahr |
---|---|---|---|---|---|
Le grand fossé | Der große Graben | Da grosse Grobn | Kurt Ostbahn | Wienerisch | 1997 |
Le devin | Der Seher | Da Woasoga | Kurt Ostbahn | Wienerisch | 1998 |
Le bouclier arverne | Asterix und der Avernerschild | Asterix und da Aweanaschüld | Reinhard P. Gruber | Steirisch | 1998 |
Obélix et compagnie | Obelix GmbH & Co KG | Obelix und ’s groaße Gschäft | Felix Mitterer | Tirolerisch | 2000 |
Astérix légionnaire | Asterix als Legionär | Da Legionäa Asterix | H.C. Artmann | Wienerisch | 2000 |
Astérix aux Jeux Olympiques | Asterix bei den Olympischen Spielen | Asterix ba di Olümpischen Schpüle | Reinhard P. Gruber | Steirisch | 2000 |
Astérix gladiateur | Asterix als Gladiator | Asterix ols Gladiatoa | Armin Assinger | Kärntnerisch | 2000 |
La zizanie | Streit um Asterix | Kööch uman Asterix | Ernst Molden | Wienerisch | 2018 |
Le Domaine des dieux | Die Trabantenstadt | Es Brojeggd | Ernst Molden | Wienerisch | 2020 |
Astérix et le chaudron | Asterix und der Kupferkessel | Asterix und es kupfane Reindl | Ernst Molden | Wienerisch | 2022 |
Astérix le Gaulois | Asterix der Gallier | Asterix da Wüüde | Ernst Molden | Wienerisch | 2024 |
Alle elf bisher in österreichische Mundarten übersetzten Asterix-Bände beruhen – auch wenn die Übersetzer des Französischen mächtig sind – auf den Übersetzungen von Gudrun Penndorf, von der die Bände 1–29 in hochdeutscher Fassung stammen; das wird im Impressum offengelegt (überwiegend in konventioneller Form, in einigen Ausgaben sind auch diese Informationen im betreffenden Dialekt abgefasst). Es handelt sich also durchwegs um intralinguale Übersetzungen.
Die österreichischen Übersetzer von Mundartfassungen sind mit Ausnahme des Ex-Schirennläufers und populären Fernsehmoderators Armin Assinger (*1964), der für die Kärntner Version verantwortlich zeichnet, prominente Kulturschaffende, deren Namen mit Werken in der jeweiligen Varietät assoziiert werden.
Von den Wiener Ausgaben stammt eine von dem Dichter H.C. Artmann (1921–2000), der für seine Mundartgedichte eine eigene „Orthographie“ entwickelt und eine Ausprägung des Wiener Substandards auch schon in einer anderen Übersetzung aus dem Französischen (→ François Villon) erprobt hatte. Zwei Übersetzungen verdanken sich Günter Brödl (1955–2000), der vor allem als Musikschriftsteller und als Schöpfer von in den Wiener Dialekt übersetzten amerikanischen Rockmusiktexten hervorgetreten ist und sich im Kulturbetrieb unter dem Namen der Kunstfigur Ostbahn Kurti bzw. Dr. (a.D.) Kurt Ostbahn profiliert hat. Die drei jüngsten Übersetzungen gehen zurück auf den die Wiener Kulturszene seit der Jahrtausendwende stark mitprägenden Ernst Molden (*1967), einem Mitglied der in Österreich seit drei Generationen präsenten Intellektuellenfamilie.
Die beiden steirischen Bände verfasste Reinhard Peter Gruber (*1947), dessen literarisch-musikalische Produktion oft einen explizit regionalen Bezug hat (wie einigen Untertiteln seiner Werke zu entnehmen ist: steirischer Roman, steirische Wirtshausoper, steirisches Musical). In seinen Asterix-Übersetzungen bringt er nicht nur den diphthong- und triphthongreichen steirischen Dialekt zur Geltung, sondern schmuggelt auch aktuelle Realien als Lokalkolorit ein. So wird etwa aus dem Werbespruch der bekannten Biermarke „Lustig samma, Puntigamer“ die Parole „Röma samma! Puntigamma!“; an anderer Stelle wird der Fußballmannschaft Sturm Graz gehuldigt.
Mit der Tiroler Übersetzung wurde Felix Mitterer (*1948) betraut, dessen Auseinandersetzung mit regionalen Themen sich in seinem reichhaltigen, aus Dramen und Drehbüchern bestehenden Œuvre widerspiegelt und dessen Verbundenheit mit dem Kulturleben des Bundeslands u.a. in den Orten der Uraufführungen seiner Stücke zum Ausdruck kommt. Mitterer steuert seiner Übersetzung einen ganzseitigen Paratext bei, in dem er auch über innertirolerische sprachliche und mentalitätsmäßige Unterschiede aufklärt und seine Entscheidung für die gewählte Varietät begründet: „I hun iatzan oanfoch den Dialekt gnommen, den aa da Nichttirola ols vabreiteten Tirola Dialekt kennt, und des isch so ungefähr da Dialekt aus da Gegend vo Innschbruck“. Aber Mitterer bricht die sprachliche Eindimensionalität der Vorläuferversionen raffiniert auf, um die linguistischen Verhältnisse der Römerzeit in gewisser Weise nachzubilden:
„Im französischn Original vom Aschterix redn die Gallier und die Röma des gleiche Französisch, und in da hochdeitschn Übasetzung redn sie des gleiche Deitsch. Hun i ma gedenkt, wenn ma iatz schun a Dialektübasetzung mochn, warum nit die Röma ondasch redn lossn wia die Gallier? Weil domols, in die 50er-Johr vor Chrischtus, wia die Röma Gallien bsetzt hobm, do hobm die Röma natirlich Lateinisch gredt und die Gallier Gallisch […]. Und nochand hun i ma gedenkt, sell war dechtasch nit unluschtig, wenn die Röma Wianarisch redn tatn […].“
Durch ein Verlagsgutachten wurde noch eine weitere Differenzierung ins Spiel gebracht: Der in der klassischen Philologie als stilbildender Schriftsteller anerkannte Cäsar hätte anstatt des gleichen Dialekts wie die römischen Soldaten auch Standarddeutsch sprechen können. Aber diesen Vorschlag hat Mitterer, wie aus dem im Innsbrucker Brenner-Archiv aufbewahrten Vorlass hervorgeht, abgelehnt[2].
Weder Literatur- noch Sprach- oder Translationswissenschaft (abgesehen von einzelnen an österreichischen Universitätsbibliotheken registrierten Qualifikationsarbeiten) haben den Asterix-Mundartübersetzungen Beachtung geschenkt. Dagegen hat der Bibliothekar Helmuth Schönauer eine Sammelrezension von fünf Bänden verfasst und einige polemische Thesen in Bezug auf Verlag, Übersetzer und Publikum aufgestellt:
- [2] [Es gibt] ein dogmatisches Ranking, indem der Verlag bestimmt, wer für die jeweilige Mundart der Patron ist […].
- [3] Nicht die Fähigkeit zur Mundart bestimmt den Übersetzer, sondern sein literarischer Marktwert.
- [5] Das Publikum kauft nicht in erster Linie Asterix, sondern die Übersetzung von Dr. Kurt Ostbahn, H.C. Artmann, Reinhard P. Gruber oder Felix Mitterer[3].
Nicht alle österreichischen Dialekte sind durch Übersetzungen vertreten. Es fehlt das Alpenvorland, also die Bundesländer Salzburg, Oberösterreich und Niederösterreich, deren mittelbairische Varietäten aus der Sicht des Durchschnittssprechers wohl im Kontrast zur Standardsprache vergleichsweise schwach ausgeprägte Profile haben und daher für übersetzerische Experimente weniger attraktiv erscheinen (das gilt auch für andere Texte, die in viele Dialekte übersetzt wurden, z.B. Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz, → Leitgeb). Der Dialekt des westlichsten Bundeslandes, also Vorarlbergs, hebt sich zwar am stärksten von allen übrigen österreichischen Varietäten ab, aber die als Alemannisch ausgewiesenen Fassungen stammen von Schweizer und von schwäbischen Übersetzern. Die elf in der Tabelle aufgelisteten Übersetzungen verteilen sich auf Wien (6), die Steiermark (2), Kärnten (1) und Tirol (1). Die Übersetzer sehen sich erkennbar veranlasst, Lesererwartungen dahingehend zu erfüllen, dass sie einerseits für ihren Dialekt (vermeintlich) typische Wörter und Wendungen in die Texte einbauen (über deren Bedeutung man sich in den beigefügten Glossaren informieren kann) und andererseits für die mit der Übersetzung Penndorfs populär gewordenen Zitate besonders markante Formulierungen finden. So lauten Entsprechungen des Ausrufs „DIE SPINNEN, DIE RÖMER!“ z.B. „DE SEIN GONZ SCHEN TEPAT, DE REMA!“ (Assinger), „DE HOM AN VOGL, DE RÖMA!“ (Mitterer) oder „DE SAN AUGRENND, DE RÖMA!“ (Molden).
Cros verweist im Zusammenhang mit den „regionalistischen“ Versionen auch darauf, dass den Übersetzungen in zahlreichen Fällen eine dezidierte sprachpolitische Mission mitgegeben wurde[4]. Im deutschsprachigen Raum trifft dies zweifellos auf das Letzeburgische mit seinen insgesamt neun Bänden zu, die allesamt von dem Luxemburger Alex (als Schriftsteller: Lex) Roth (*1933) stammen und die im Kontext sowohl der Status- als auch der Korpusplanung der erst seit 1984 als Nationalsprache anerkannten Varietät zu beurteilen sind. Die österreichischen Mundartübersetzungen stehen dagegen nicht vordergründig im Dienst glottopolitischer Emanzipationsbestrebungen; die ihnen zugedachte Aufgabe besteht allenfalls in der Stärkung der sprachlichen Loyalität der Dialektsprecher*innen, die durch das Lesevergnügen unterstützt werden soll. Die Ausgaben zeugen von der Präsenz, die die Dialekte in Österreich im sozialen Leben haben und die durch Übersetzungen attraktiver Lesestoffe im Bewusstsein verankert wird.
Dass den österreichischen Übersetzungen keine standardisierende Funktion zugedacht ist, sieht man am deutlichsten an den Wiener Übersetzungen, die von drei Verfassern unterschiedlicher Generationen stammen. Der allen Ausgaben vorangestellte gleichlautende Text, der der ersten Orientierung der Leserschaft und der Kontextualisierung der Handlung dient, trägt bezüglich Graphie als auch Register jeweils den individuellen Stempel der Übersetzer.
Gudrun Penndorf M.A. | WIR BEFINDEN UNS IM JAHRE 50 V. CHR. GANZ GALLIEN IST VON DEN RÖMERN BESETZT … GANZ GALLIEN? NEIN! EIN VON UNBEUGSAMEN GALLIERN BEVÖLKERTES DORF HÖRT NICHT AUF, DEM EINDRINGLING WIDERSTAND ZU LEISTEN, UND DAS LEBEN IST NICHT LEICHT FÜR DIE RÖMISCHEN LEGIONÄRE, DIE ALS BESATZUNG IN DEN BEFESTIGTEN LAGERN BABAORUM, AQUARIUM, LAUDANUM UND KLEINBONUM LIEGEN. |
H.C. Artmann (*1921) | MIA SAN IM JOA FUCHZIG FOA GRISTI GEBUAT. GAUNZ GALLIEN UNTA RÖMISCHA BESOZZUNG … GAUNZ GALLIEN? – OWA NAA! A FON SCHDUASCHEDLADE BEFÖKATES DERFÖ HEAD UM DIE BUAG NED AUF DEN OATSFREMDN WIDASCHDAUND Z LEISTEN. FIA DI LEGIONÄÄRE, DI WOS RUNDUMADUM OES BESOZZUNG IN DI KASEANA FON AQUARIUM, BABAORUM, LAUDANIUM UND KLABONUM LAUAN MIASSN, IS DES A IN ECHT KAA LEACHALSCHAS. |
Dr. a.D. Kurt Ostbahn (*1955) | ES IS SCHO A ZEITL AUS, 50 V. CHR. WOAS, DO WOA GANZ GALLIEN FEST IN RÖMISCHA HAND … GANZ GALLIEN? NED WIRKLICH! WEU A HANDVOI ZAACHE HUND IN AN KLAN GALLISCHN KAFF STÖT DENA BESOTZA AN BAM NOCHN ANDERN AUF. UN DE RÖMISCHN LEGIONÄRE, DE WOS IN EANARE LOGA IN BABAORUM, AQUARIUM, LAUDANUM UND KLAABONUM KASANIERT SAN, DE HAM DO ECHT KAN LENZ … |
Ernst Molden (*1967) | MIR SCHREIM ES FUFFZGAJOA VUAN DSCHIESAS. DE RÖMA HOM SE GAUNZ GALLIEN EIGNAAD. GAUNZ GALLIEN? SCHMEGGS! A KLAANE UATSCHOFD VOLLA UNBEIGSOMA SCHDUASCHEDLN WÜÜ SE DES SO NED GFOEN LOSSN UND GIBD DENAN RÖMAN KAAN DOG LAUNG A RUA. DRUM IS NED LEICHD FIA DE LEGIONEA, WOS RUNDUMADUM IN DE LOGA VON BABAORUM, AQUARIUM, LAUDANUM UND KLEINBONUM EANAN DIENST DUAN … |
Sprachsensible native speakers des Wienerischen diagnostizieren nicht nur diastratische, sondern vor allem markante diachronische Unterschiede; leider gibt es keine sprachwissenschaftlich belastbaren Untersuchungen zu diesem Aspekt.
Die ethnische Konstellation der Astérix-Bände eignet sich natürlich auch prinzipiell gut für eine politische Instrumentalisierung jenseits der sprachlichen Problematik. Uderzo hat zwar einmal betont, dass Goscinny und er selbst nur die Unterhaltung von Kindern intendiert und politische Anspielungen bewusst vermieden hätten[5], aber er widerspricht sich selbst, wenn er an anderer Stelle anmerkt, dass er bei der Abfassung von Le grand fossé an die Berliner Mauer gedacht habe[6]. Im österreichischen Kontext sind es regionale Rivalitäten, die ins Spiel kommen können, aber nur Mitterer thematisiert solche zwischen Tirolern und Wienern in seinem Vorspanntext explizit, wobei er ausdrücklich um eine versöhnliche Darstellung der Spannungen bemüht ist. Politisch unterlegte Emotionen gegen ein dominantes Machtzentrum – Wien oder Brüssel – dürften die österreichischen Dialektversionen also nicht auslösen.
Quellen und externe Links
Literatur
- Cros, Bernard: Du village d’Astérix au village global: historique de cinquante ans de succès. In: Bertrand Richet (Hg.): Le tour du monde d’Astérix. Actes du colloque tenu à la Sorbonne les 30 et 31 octobre 2009. Paris: Presses Sorbonne Nouvelle 2011, S. 19–38.
- Schneider, Ursula A. / Steinsiek, Annette: Obocht, Leutln! Hinkelstoanschlag. Literarische Vorlage und Dialekt in Felix Mitterers Übertragungen von Asterix und John Millington Synges Playboy. In: Nestroyana 37 (2017), Heft 3–4, S. 160–174.
- Schönauer, Helmuth: Tagebuch eines Bibliothekars. Band II, 1999–2003. Klagenfurt: Sisyphus 2015, S. 166–169.
Autor
Wolfgang Pöckl
Onlinestellung: 04/10/2024