Robin Christian Andersen

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Robin Christian Andersen, Aufnahme um 1930

Das Oeuvre des Wiener Malers Robin Christian Andersen spannt einen Bogen von seiner frühen Phase vor und während des Ersten Weltkriegs zu einer intensiven Schaffensphase in den 1920er und 1930er Jahren bis zum Spätwerk des Künstlers in den 1950er Jahren. In seiner privaten Malschule, die Andersen ab 1919 unterhielt, und in der Meisterklasse für Malerei, die er von 1945 bis 1965 an der Akademie der bildenden Künste in Wien innehatte, vertrat er mit großer Konsequenz die Lehren, die er für sich aus seiner intensiven Beschäftigung mit der Kunst von Paul Cézanne gezogen hatte. Damit zählte Andersen zu den maßgeblichen, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Österreich tätigen Künstlerpersönlichkeiten die das Erbe Cézannes auch lange nach dem Tod des französischen Meisters bewahrten und fortführten.

Biografie

Robin Christian Andersen wurde am 17. Juli 1890 in Wien geboren. Sein Vater Christian Georgius Andersen war aus Dänemark nach Wien gezogen, wo dieser eine Werkstätte für Dekorationsmalerei betrieb. Eine der drei Schwestern des Künstlers, Ida Wilhelmine, heiratete 1913 den Maler Anton Faistauer.[1] Mit Faistauer pflegte Andersen einen engen künstlerischen Austausch. Andersen behielt auf Wunsch seines Vaters zeit seines Lebens die dänische Staatsbürgerschaft bei. Er besuchte 1905–1907 die Malschule von Robert Scheffer in Wien, wo er unter anderem mit seinem späteren Schwager Anton Faistauer, des Weiteren mit Gustav Schütt,[2] Anton Peschka[3] und John Quincy Adams[4] studierte. Im Herbst 1907 trat Andersen zur Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste an, bestand sie jedoch nicht. 1907–1908 studierte er in der Malschule von Gustav Bauer in Wien. In den Sommern der Jahre 1909 und 1910 hielt er sich gemeinsam mit Faistauer und Schütt in der Gegend von Ascona am Lago Maggiore auf und unternahm gemeinsame Italienreisen.

1911 nahm Andersen an der legendären „Sonderausstellung Malerei und Plastik“ der von Egon Schiele gegründeten Neukunstgruppe in den Räumlichkeiten des Hagenbundes teil und wurde Mitglied dieser Künstlergruppe. Im März 1918 nahm er an der 49. Secessionsausstellung, die Schiele organisiert hatte, teil. Im Frühjahr 1918 war Andersen Mitbegründer der von Schiele initiierten, kurzlebigen Künstlergruppe Neue Secession Wien. Im September 1918 war er auch Mitbegründer des von Schiele initiierten Sonderbundes österreichischer Künstler. 1919 richtete er in seinem Wiener Atelier eine private Malschule ein, an der er in den folgenden Jahren zahlreichen Schüler*innen Malunterricht gab.

Von 1919 bis 1921 bekleidete Andersen die Funktion des Sekretärs und Geschäftsführers des Sonderbundes österreichischer Künstler. Im August 1919 nahm er an der ersten Ausstellung der Künstlergruppe Der Wassermann in Salzburg teil. 1920 trat er dem Wiener Hagenbund bei und nahm an dessen 36. Ausstellung teil. Dies war allerdings die einzige Ausstellungsbeteiligung in dieser Gruppe, spätestens 1923 verließ er den Hagenbund wieder. 1920 organisierte Andersen eine umfangreiche Ausstellung des Sonderbundes im Kunstverein Winterthur in der Schweiz, die auch in Genf und Bern präsentiert wurde. Nach der 1932 erfolgten Selbstauflösung des Bundes österreichischer Künstler – Kunstschau wurde Andersen Mitglied der Wiener Secession. 1932, 1934 und 1936 wurde er zur Teilnahme an den Kunstbiennalen von Venedig eingeladen.

Im Sommer 1945 wurde Andersen mit der Leitung einer Meisterschule für Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien beauftragt. Von 1946–1948 bekleidete er das Amt des Rektors der Akademie, von 1948–1951 das Amt des Prorektors. 1965 emeritierte Andersen von der Wiener Akademie. Im Herbst 1967 organisierte die Wiener Secession die erste und einzige Einzelausstellung zu Lebzeiten des Künstlers. Am 23. Jänner 1969 starb Robin Christian Andersen in Wien und wurde am Evangelischen Friedhof in Wien-Simmering beigesetzt.

Künstlerisches Werk – das Vorbild Paul Cézannes

Neben gelegentlichen Aufträgen für Tapisserien, Glasfenster und Wandbilder lag der Schwerpunkt von Andersens künstlerischer Tätigkeit in der Malerei. Dabei sticht sein besonderes Interesse für die Kunst von Paul Cézanne hervor, ein Interesse, das sich schon in den ersten Schaffensjahren des Wiener Künstlers zeigte und auch später ungebrochen anhalten sollte. Zu Cézanne dürfte Andersen über seinen um drei Jahre älteren Künstlerkollegen und Schwager Anton Faistauer gelangt sein. Faistauer setzte sich ab 1910 als einer der ersten Maler in Österreich mit der Kunst Cézannes auseinander. Nur wenige Jahre zuvor, 1907, hatte die spektakuläre Cézanne-Gedächtnisausstellung im Salon d’Automne in Paris in ganz Europa eine erste Welle der Beschäftigung mit Cézannes Kunst ausgelöst. Im selben Jahr waren sechs Gemälde von Cézanne in Wien zu sehen gewesen, und zwar in der von der Galerie Miethke veranstalteten Ausstellung Französischer Postimpressionismus. Faistauer, damals zwanzig Jahre alt und gerade als Kunststudent in die Akademie der bildenden Künste aufgenommen, hatte diese Schau wohl aufmerksam verfolgt. Und ziemlich sicher hatte diese Schau auch der damals 17-jährige Andersen besucht, der kurz zuvor gemeinsam mit Faistauer an der Wiener Malschule von Robert Scheffer studiert hatte. Eine weitere Gelegenheit, Cézannes Malerei in Wien zu studieren, bot sich für die beiden jungen Wiener Künstler in der Ausstellung Die Neue Kunst, die von Jänner bis Februar 1913 in der Galerie Miethke in Wien stattfand. Die Schau zeigte einen Überblick über die französische Avantgarde mit Werken unter anderem von Cézanne, van Gogh, Picasso,[5] Braque[6] und Léger.[7] Faistauer war selbst in dieser Ausstellung vertreten, und zwar gemeinsam mit Oskar Kokoschka, die beiden waren die einzigen Österreicher in dieser Schau.

Eine weitere Möglichkeit für Andersen, Cézannes Werke kennenzulernen, lieferte das Bildmaterial, das er in der von Julius Meier-Graefe[8] 1910 herausgegebenen Monografie über Paul Cézanne fand. Das Erscheinen der zweiten Auflage dieser Publikation 1913 fällt mit der Entstehung von wichtigen frühen Werken Andersens zusammen, in denen sich der Einfluss des französischen Meisters klar ablesen lässt. So scheint Cézannes Stillleben mit Äpfeln und Flasche, das in Meier-Graefes Monografie abgebildet ist, das unmittelbare Vorbild für Andersens Früchtestillleben auf weißem Tuch von 1913 gewesen zu sein. Und Cézannes Gemälde Die Spieler, das in Meier-Graefes Monografie abgebildet ist, könnte ein unmittelbares Vorbild für Andersens Bild Matrosen von 1914 geliefert haben. Auch das von Andersen 1916 geschaffene Gemälde Stillleben mit Äpfeln erscheint wie eine Paraphrase auf ein Werk Cézannes, nämlich auf dessen berühmtes Stillleben mit Compotier, das im Übrigen auf der 1903 in der Wiener Secession stattgefundenen legendären Ausstellung Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik zu sehen gewesen war.

Robin Christian Andersen, Landschaft bei Aspang, 1924
Robin Christian Andersen, Stillleben mit Kürbis, Obstteller und Obstschüssel, um 1934

In den Jahren um 1920 wich Cézannes Einfluss auf Andersens Malweise zugunsten der Betonung expressiver Elemente, um ab der Mitte der 1920er Jahre zu einer sehr originellen Synthese zu finden, in der malerisch-expressive Elemente vorherrschen, zugleich aber auch eine formal strenge Komposition anzutreffen ist, die erneut dem französischen Altmeister verpflichtet erscheint. Andersens Bewunderung für Cézanne zeigt sich nicht zuletzt in seiner Bevorzugung der Bildmotive Stillleben und Landschaften, jene Motive, in denen der französische Meister sein Diktum einer „peinture pure“ wohl am deutlichsten zum Ausdruck gebracht hatte.



Cézanne-Einfluss auf die Malerei in Österreich

Die Dominanz dieser beiden Bildgattungen, gemeinsam mit der Bildgattung des Porträts, sollte für die Malerei in Österreich in den 1920er und 1930er Jahren insgesamt ein besonderes Merkmal darstellen. Dies kann wohl auf die Vorbildwirkung Cézannes zurückgeführt werden, und zwar auch bei Maler*innen, die stilistisch andere Wege beschritten, wie etwa Josef Dobrowsky oder die Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Aber eine Reihe von ihnen lehnte sich so wie Andersen auch stilistisch sehr nahe an Cézanne an, etwa Herbert Boeckl, Gerhart Frankl, Josef Floch,[9] Broncia Koller-Pinell[10] und Georg Merkel.

Einblick in die Hauptgalerie des österreichischen Pavillons der XX. Biennale von Venedig, 1936. Man erkennt Werke unter anderem von Robin Christian Andersen, Josef Dobrowsky und Franz Lerch, mehrheitlich Stillleben und Landschaften.

Dieser Dominanz der Bildgattungen Stillleben, Porträt und Landschaften in der Malerei zwischen 1918 und 1938 in Österreich steht wiederum das Fehlen von anderen Themen gegenüber, die man in dieser Zeit in dieser Region vermisst, wie etwa Darstellungen aus dem Bereich des Surrealismus, sozialkritische und politische Themen oder narrative Szenen. Und auch das weitgehende Fehlen abstrakter Positionen in der österreichischen Malerei jener Zeit fällt auf. Für viele konservativ gesinnte Kunstkritiker*innen erschien Cézanne sogar als ein herausragender Garant dafür, nicht der von ihnen abgelehnten abstrakten Gestaltungsweise zu verfallen. Ein Beispiel dafür sind etwa die Ausführungen des Kunstkritikers Franz Ottmann im Katalog der Ausstellung Die führenden Meister der französischen Kunst im neunzehnten Jahrhundert, die 1925 in der Secession stattfand und in der unter anderem auch Werke von Cézanne und Gauguin zu sehen waren. Ottmann betrachtete Cézanne und Gauguin als jene Pioniere der Moderne, die nicht die Auflösung der Formen in die Abstraktion anstrebten, sondern das Fortbestehen der gegenständlichen Maltradition garantierten. Fast scheint es, als habe Cézannes Vorbildwirkung hier als Rechtfertigung für jene ausgesprochen konservative Kulturpolitik gedient, die in den 1930er Jahren in Österreich vorherrschte und die in der Folge immer autoritärere Züge annehmen sollte. Tatsächlich zählten Andersen und viele der erwähnten Namen in den 1930er Jahren zu den etablierten Künstlerpersönlichkeiten des Landes, deren Werke damals häufig in Ausstellungen zu sehen waren, insbesondere im Rahmen prominenter, staatstragender Projekte, wie etwa die bereits erwähnten Teilnahmen an den Kunstbiennalen von Venedig in den Jahren 1932, 1934 und 1936.

Lehrtätigkeit

Andersens Verbundenheit mit Cézanne verlagerte sich in späteren Jahren vor allem auf die Lehrtätigkeit, die er seit 1945 als Professor für Malerei an der Wiener Akademie der bildenden Künste ausübte. Hier propagierte er sinngemäß Cézannes „peinture pure“, gekennzeichnet von einer nahezu ausschließlichen Konzentration auf formale Elemente, der obligatorischen Verwendung von konstruktiven geometrischen Hilfslinien oder einer selbst auferlegten Beschränkung auf wenige Bildthemen und Farben. Wenig überraschend empfanden viele seiner Student*innen diese Unterrichtsmethoden als zu rigid und didaktisch. Bezeichnenderweise flüchteten in den Jahren 1946 und 1947 einige sehr talentierte Künstler, die zu Beginn ihres Kunststudiums Andersens Malklasse besuchten, sehr rasch in die Malklasse von Albert Paris Gütersloh, wo sie sich als Gleichgesinnte zusammenfanden und in der Folge die später so berühmte Wiener Schule des Phantastischen Realismus begründen sollten.

Quellen und externe Links

Bibliografie

  • Smola, Franz: Der Maler Robin Christian Andersen (1890-1969). Leben und Werk. Mit einem Werkverzeichnis aller künstlerischen Arbeiten. 2 Bde. Unveröffentlichte Dissertation der Universität Wien 2017.
  • Smola, Franz: Der Maler Robin Christian Andersen (1890-1969). Leben und Werk. Wien, Münster: Lit-Verlag 2024.

Autor

Franz Smola

Onlinestellung: 28/05/2025