Wilfried Kirschl

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Wilfried Kirschl im Atelier, 1963 © Ph. Ch. Haas

Der Maler, Autor, Kurator und Sammler Wilfried Kirschl (* 27. April 1930 in Wörgl, † 28. Januar 2010 in Innsbruck) vermittelte in seinen vielfältigen Aktivitäten die moderne Kunst, insbesondere jene aus Frankreich, an den österreichischen und Tiroler Kunstbetrieb nach 1945. Sowohl in seinem künstlerischen Œuvre als auch in seinen kuratorischen und publizistischen Arbeiten verteidigte er die Relevanz von Ideen der klassischen, vor allem französischen Moderne über die Zäsur des Zweiten Weltkriegs hinweg. Kirschl engagierte sich auch in Bürgerinitiativen zum Erhalt historisch gewachsener Stadträume und des „menschlichen Maßes“ in Kunst und Umweltgestaltung.

Biografie

Der Künstler wurde als jüngstes von drei Kindern des Kaufmanns Hans Kirschl und seiner Ehefrau Franziska, der Schwester des Malers und Herbert Boeckl-Schülers Sepp Orgler[1] geboren. 1943 fiel Orgler in Russland. Wilfried Kirschl erhielt einen Teil des Nachlasses, der ihn zur eigenen künstlerischen Arbeit anspornte. 1945-48 besuchte er die Innsbrucker Gewerbeschule. Dort lehrte der Maler Helmut Rehm[2], der wie Orgler an der Akademie der bildenden Künste in Wien in Boeckls Meisterschule studiert hatte. 1948-52 lernte Kirschl in der Meisterschule von Josef Dobrowsky[3] und im Abendakt von Herbert Boeckl[4] an der Wiener Akademie. Da sein Vater das Akademiestudium nicht unterstützte, war der Künstler gezwungen, für den Lebensunterhalt Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Unter seinen Studienkollegen und Freunden fanden sich einige der später einflussreichsten Künstlerinnen und Künstler der Nachkriegszeit in Österreich, darunter Alfred Hrdlicka[5], Rudolf Schönwald[6], Josef Mikl[7], Wolfgang Hollegha[8], Heinz Klima[9], Gertraud Pesendorfer, Rudolf Hradil[10] sowie der Musiker Othmar Costa[11].

1952 zog Kirschl zurück nach Innsbruck. Gemeinsam mit Gerhild Diesner, Bodo Kampmann[12], Paul Flora[13], Helmut Rehm, Max Weiler[14] und Werner Scholz[15] zählte er zum Künstlerkreis um das Institut Français d'Innsbruck und dessen engagierten Leiter Maurice Besset. Seit 1950 unternahm er regelmäßige Studienreisen nach Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland, Nordafrika, Amerika und England, oft mit Norbert Drexel[16] und Anton Tiefenthaler[17]. Die erste Reise nach Frankreich führte Kirschl 1952 unter großen materiellen Entbehrungen nach Paris sowie nach Arles und Saint-Rémy-de-Provence, wo Gauguin und Van Gogh gelebt hatten. Ab 1952 nahm er an zahlreichen Ausstellungen und Personalen im Kunstpavillon der Tiroler Künstlerschaft in Innsbruck sowie in Galerien und Ausstellungshäusern in Deutschland, Italien, der Schweiz und Österreich teil. 1953 reiste er auf den Spuren von Cézanne und anderen Wegbereitern der Moderne erneut in die Provence.

Provenzalische Landschaft, 1964 © Johannes Plattner

Auf Vermittlung des Schwazer Bildhauers Sepp Baumgartner wirkte Kirschl 1954-56 als Gymnasiallehrer am dortigen Paulinum. 1955 führte seine dritte Frankreichreise nach Paris, Chartres und in die Normandie (Honfleur, Rouen). Weitere Studienreisen nach Frankreich unternahm Kirschl 1956, 1957 (Erwerb von Druckgrafiken Georges Rouaults in Paris), 1959 (u.a. La Rochelle), 1961, 1962/63, 1964, 1979, 1984, 1986 und 1993. 1957 lernte er mit einem Stipendium beim kubistischen Maler André Lhote in Paris. Der Aufenthalt erfolgte auf Anraten Gerhild Diesners, die 1943/44 dort gelernt hatte. 1962 heiratete Kirschl die Berliner Buchhändlerin Barbara Hendrischke. 1964-83 kuratierte er insgesamt 38 Ausstellungen in der von ihm mitbegründeten Galerie des Landes Tirol im Innsbrucker Taxispalais[18].

1964-76 war Kirschl Vizepräsident der Tiroler Künstlerschaft, 1966-94 wirkte er im Kulturbeirat des Landes Tirol. 1969 bestritt er die erste größere Einzelausstellung in Wien (Secession), gefolgt von zahlreichen weiteren Präsentationen in privaten Galerien. 1973 ehelichte Kirschl die Schauspielerin Heide Birkner, 1982 die Germanistin Susanna Goldberg und 1997 die Künstlerin Jutta Katharina Kiechl. 2005 wurde die dänische Pädagogin Karin Juul zu seiner Partnerin der letzten Lebensjahre.

Künstlerisches Werk

Wilfried Kirschls Malerei entwickelte sich vom expressiven Realismus der 1940er Jahre über den Kubismus zu einem nahezu monochromen, tektonisch betonten Stil in Stadtbildern, Landschaften und Stillleben. Dafür suchte er gezielt maritime und urbane Orte auf, an denen schon Cézanne, Van Gogh, Gauguin und Picasso gearbeitet hatten. Seit seinem „Lichterlebnis“ 1959 in La Rochelle am Atlantik entstanden hellfarbige Interpretationen der typischen Lichtverhältnisse meist mediterraner Szenerien, besonders auf den griechischen Inseln. Auch Kirschls heimische Landschaften boten dem Tiroler Publikum einen überzeugenden Zugang zu Ausdrucksweisen und Methoden der klassischen Moderne. Für die Stillleben war Giorgio Morandi[19] vorbildlich. In elf großformatigen Wandbildern und einer Glasmalerei schuf Kirschl eine dauerhafte Präsenz dieser Ideen im öffentlichen Raum.

Monografie zu Carl Moser von Wilfried Kirschl, 1989 © Haymon Verlag

Kurator, Forscher und Sammler

In der Nachkriegszeit war das Institut Français unter Maurice Besset (1948-58) die einzige öffentliche Institution Tirols, in der konsequent moderne Kunst gezeigt wurde. Anders als in Wien, Graz und Klagenfurt gab es in Innsbruck zunächst noch keine landeseigene Galerie für zeitgenössische und klassisch-moderne Kunst. Mit der Gründung der Galerie im Taxispalais 1964 durch Magdalena Hörmann, Paul Flora, Oswald Oberhuber[20] und Wilfried Kirschl wurde dieses Defizit behoben. Damit begannen auch Kirschls kuratorische Projekte. Erste Ausstellungen waren frankophonen Künstlern gewidmet (Französische Meistergrafik – Pierre Bonnard[21] und Edouard Vuillard[22] 1965, René Auberjonois[23] 1966). Darauf folgte die österreichische Moderne (Wilhelm Thöny 1967, Alfred Hrdlicka und Georg Eisler[24] 1969, Klimt und Schiele 1973, Alfred Kubin 1975, sowie Oskar Kokoschka 1980). Schließlich konzentrierte sich Kirschl auf die Dokumentation der Moderne in Tirol mit Ausstellungen und Publikationen über Artur Nikodem[25], Max von Esterle[26], Albin Egger-Lienz[27] und Carl Moser, der 1906/07 an der Pariser Académie Julian[28] studiert und in der Bretagne gelebt hatte. 1995 präsentierte Kirschl in Pont-Aven Werke von Carl Moser, die in dieser Region entstanden waren. 1977 und 1996 erschien Kirschls Catalogue raisonné zu Albin Egger-Lienz. Im Zuge dieser kunsthistorischen Forschungen erwarb Kirschl zahlreiche Werke, welche die Œuvres der von ihm dokumentierten Künstler beispielhaft repräsentierten. Diese Referenzsammlung mit rund 300 Werken wurde 2012 vom Land Tirol angekauft und 2017 in einer Ausstellung des Landesmuseums Ferdinandeum präsentiert.

Quellen und externe Links

  1. https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Sepp_Orgler
  2. https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Helmut_Rehm
  3. https://austria-forum.org/af/AEIOU/Dobrowsky,_Josef
  4. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Herbert_Boeckl
  5. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Alfred_Hrdlicka
  6. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Rudolf_Sch%C3%B6nwald
  7. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Josef_Mikl
  8. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Wolfgang_Hollegha
  9. https://www.klockermuseum.at/de/kunstsammlung/kuenstlerinnen/heinz-klima
  10. https://galerie-welz.at/kuenstler/hradil-rudolf/?lang=en
  11. https://www.uibk.ac.at/de/brenner-archiv/bestaende/costa/
  12. https://lobid.org/gnd/174228007
  13. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Paul_Flora
  14. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Max_Weiler
  15. https://sammlung.belvedere.at/people/2043/
  16. https://www.galerie-augustin.com/de/norbert-drexel.html
  17. https://d-nb.info/gnd/121140830
  18. https://www.taxispalais.art/
  19. https://www.centrepompidou.fr/en/ressources/personne/c4rrL88
  20. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Oswald_Oberhuber
  21. https://www.museebonnard.fr/index.php/fr/musee/pierre-bonnard
  22. https://www.musee-orsay.fr/fr/collections/recherche?union_artist_names=23768&search_type=advanced_search
  23. https://www.patrinum.ch/record/40009?ln=fr
  24. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Georg_Eisler
  25. https://www.biographien.ac.at/oebl_7/129.pdf
  26. https://d-nb.info/gnd/118862626
  27. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Albin_Egger-Lienz
  28. https://francearchives.gouv.fr/fr/agent/18457279

Bibliografie

Werke

  • Kirschl, Wilfried; Methlagl, Walter (Hg.): Karikaturen und Kritiken. Max von Esterle (1870-1947). Salzburg: Müller 1971.
  • Kirschl, Wilfried: Carl Moser. 1873-1939. Innsbruck: Haymon 1989.
  • Kirschl, Wilfried: Albin Egger-Lienz 1868-1926. Das Gesamtwerk, 2 Bände. Wien: Brandstätter 1996.

Fachliteratur

  • Dankl, Günther (Hg.): Mit dem Auge des Künstlers. Die Sammlung Kirschl. Innsbruck: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 2017.
  • Haas, Philipp Christoph; Kraus, Carl; Methlagl, Walter (Hg.): Raum, Licht, Volumen. Wilfried Kirschl. Das malerische Werk. Innsbruck-Wien: Tyrolia 2020.
  • Kolosz, Martin (Hg.): Wilfried Kirschl. Künstler, Sammler, Kulturvermittler. Innsbruck: Kyrene 2010.

Autor

Matthias Boeckl

Onlinestellung: 16/09/2024